Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)
hatte so viele Fragen. Eine Minute lang hielt ich inne, um meine Gedanken zu sortieren. „Wer, zum Teufel, ist dieser Apollyon, und wo hält sich der Kerl jetzt auf?“
„In Tartarus.“
„Ein Grigori?“
„ Der Grigori“, verbesserte er mich. „Apollyon bedeutet auf Hebräisch ‚Abadon‘.“
„Mein Hebräisch ist … ein bisschen eingerostet“, sagte ich.
„Der Zerstörer. Der Auserwählte, der herrschen wird, wenn die Grigori wieder auf die Erde losgelassen werden.“
„Der Antichrist.“ Ich runzelte die Stirn. „Aber ist deine Mutter nicht gerade scharf auf den Posten?“
Dieses eine Mal wies er mich wegen des Namens nicht zurecht. „Worauf willst du hinaus?“
„Wie kann sie hoffen, durch das Öffnen des Höllentors zum Antichristen zu werden, wenn der Antichrist doch eingesperrt dort hockt?“
„In der Prophezeiung heißt es, dass der Antichrist …“
„Oder sie.“
Mit einem Kopfnicken fuhr er fort: „… nicht plötzlich auf der Erde auftaucht, sondern dort gelebt hat und ein großer Anführer geworden ist, bis er schließlich von Satan besessen wurde.“
Langsam dämmerte es mir. „Wenn die Tore von Tartarus geöffnet werden und die Grigori befreit sind, wird Apollyon – Satan – von dem Besitz ergreifen, der ihn befreit hat.“
„Ja.“
„Ich kann mir kaum vorstellen, dass das bei der Frau aus Rauch … besonders gut ankommt.“
„Um zu herrschen, würde sie alles tun.“
Und wer weiß, vielleicht hatte sie ja auch noch einen Trumpf im Ärmel. Auch wenn ich mal wieder nicht wusste, was das sein könnte. Typisch, in letzter Zeit wusste ich eigentlich nie, was gespielt wurde.
„Das Buch würde ich gerne mal in die Finger kriegen“, murmelte ich.
„Du und jeder andere im Himmel und auf Erden.“ Auf meinen neugierigen Blick hin sprach er weiter. „In einer der Weissagungen heißt es, die Armee, die dieses Buch beschützt, sei unbesiegbar.“
„Verdammte Schei …“, ich brach ab. „Wie die verschollene Bundeslade?“
„Gleichgewicht“, erinnerte er mich. „Wenn die Mächte des Lichts ein Symbol haben, das ihnen Unverwundbarkeit garantiert, dann …“
„Dann müssen die Mächte der Dunkelheit natürlich auch eins haben. Wie, zum Teufel, sollen wir diesen Krieg bloß jemals gewinnen?“
„Wer sagt denn, dass wir ihn gewinnen?“
„Die Proph…“ Das Wort erstarb mir auf den Lippen, denn ich wusste mit einem Schlag, was er meinte. Für jede Prophezeiung gab es eine Gegenprophezeiung. Sie schlossen einander aus.
Bislang war ich davon ausgegangen, hatte geglaubt und gehofft, dass unsere Seite am Ende triumphieren würde. Aber bloß, weil die Guten das behauptet hatten.
Die bösen Jungs nahmen den Sieg genauso für sich in Anspruch.
Saywer sah mir in die Augen. „Wenn alles nur der Vorhersehung folgt, dann ist der Glaube bedeutungslos.“
„Was?“ Schon wieder hatte er meine Gedanken gelesen, und ich war viel zu aufgewühlt, um geradeaus zu denken.
„Glaube bedeutet, an das Unglaubliche zu glauben. Felsenfest davon überzeugt zu sein, dass auch das wahr ist, was wir nicht sehen können. Eine Wahrheit zu leben, die genauso gut unwahr sein könnte.“
„Eine Prophezeiung.“
„Genau. Um zu gewinnen, Phoenix, musst du glauben, dass du gewinnst.“
21
U m zu gewinnen, musste ich auch daran glauben.
Der hatte gut reden.
Wir schliefen in getrennten Betten, was angesichts des Geschehens zwischen uns ziemlich lächerlich schien. Kein Wort hätte ich gesagt, wenn er einfach zu mir unter die Decke geklettert wäre und sich neben mich gelegt hätte. Ich hätte noch nicht einmal protestiert, wenn er hätte in mir sein wollen.
Aber er hatte sich emotional zurückgezogen und im Anschluss zog er sich nun offenbar auch körperlich zurück. Wahrscheinlich wusste er nicht so recht, wie er mit Gefühlen umgehen sollte. Wie auch?
Und im Augenblick hatte ich keine Zeit, ihn psychologisch zu durchleuchten, selbst wenn ich dazu imstande gewesen wäre. Ich hatte genug eigene Probleme.
Nur schwer fand ich in den Schlaf, und nicht nur wegen der Neuigkeiten bezüglich der Weissagungen – gut, schlecht, möglicherweise bedeutungslos. Jedes Mal, wenn ich gerade am Wegnicken war, heulte der Wind wie eine Furie, rüttelte so laut an den Fenstern, dass ich zeitweise glaubte, sie würden in tausend Stücke zerspringen. Und da ich tatsächlich dachte, dass dort draußen eine Furie wütete, die Saywers Schutzzauber zu durchbrechen versuchte, kamen mir ernsthafte
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