Die Phrrks
krächzender Stimme: »I was bo-orn under a wandering star…«
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Josefa
Der Winter schien schon zu Ende, da fiel der Frost noch einmal über Thekion her, unvermittelt und unbarmherzig. Ein eiskaltes Polarhoch, so trocken, daß keine Eisblumen wuchsen, daß sich nicht einmal früh die graublaue Ebene mit einem silbrigen Schimmer überzog, legte sich quer vor die Alamosberge und rückte und rührte sich nicht. Niemand verließ ohne zwingenden Grund sein Quartier, und wenn es nicht zu umgehen war, dann nicht ohne Zusatzheizung im Skaphander.
Ich dachte nicht an den Frost, als Josefa anrief und fragte:
Hast du heut Zeit? Nein, es war keine Frage, und ich wußte sofort, ich hatte Zeit. Erst am nächsten Tag fiel mir wieder ein, daß ich eigentlich die Übertragung von »Kabale und Liebe« hatte sehen wollen, die erste neue Sendung seit Wochen, da das Dezember-Schiff Thekion wegen magnetischer Stürme nicht anlaufen konnte. Verzeih, Luise, daß ich nicht zusah, als du die vergiftete Limonade getrunken, ich saß bei Josefa und trank Grog.
Josefa hockte in einem Sessel, den sie, weiß der Himmel, wie, nach Thekion mitgebracht hatte, sie hatte die hohe, gepolsterte Lehne gegen den Bildschirm gedreht, auf dem ein Birkenwald in die Nacht 86
hinüberdämmerte, saß mit angezogenen Beinen, die Arme um die Knie geschlungen, ganz in sich geschlossen, ein kleiner, verfrorener Vogel. Später hielt ich ihre Hand, und wir träumten uns erdwärts, durch die finstere Kälte des Alls hinweg in einen Urwald, wo wir aus leuchtenden Riesenblumen einen Kranz wanden, den setzten wir einem Nashorn auf, und es sagte nicht einmal Danke schön.
Josefa erzählte mir Märchen. Sie band ihre Haare zu einem Knoten und steckte ihn auf den Scheitel, schob die Brille auf die Nasenspitze und hob den Zeigefinger: Es war einmal…
Die Zigarette hielt sie mit den Kuppen von Daumen und Mittelfinger, ein dünner Rauchfaden stieg empor wie aus einem Hexenhausschornstein im Win-terwald. Sie war Großmutter Josefa und ich wieder ein Junge. Später war sie ein kleines Mädchen, das sich scheu in die Decke wickelte, sie bis unter die Augen zog und die Lider schloß: Dornröschen und ich mußte behutsam die Dornen zur Seite streicheln.
Sie wollte mir nicht verraten, wo der Jungbrunnen steht, in dem sie sich wieder in eine Jungfrau verwandelt, so daß sie trotz zweier Ehen und einem Kind ein Mädchen war, das ich auf achtzehn geschätzt hatte, als ich sie Tage zuvor zum ersten Mal gesehen; ein Dutzend gesetzter Männer, zumeist erfahrene Raumhasen, umringte sie. Josefa nahm sich zwischen ihnen aus wie ein verlaufenes Kind.
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Als sie sich in das Gespräch mischte, hatte sie be-
ängstigend weise Gedanken; war es der Reiz dieses Gegensatzes, der mich sofort in ihren Bann zog? Wir selbst wechselten kaum ein paar Sätze, doch wir überraschten uns ein paarmal dabei, wie wir gleichzeitig Zustimmung nickten oder den Kopf schüttelten oder abfällig lachten. Es schien, als kannten wir uns schon von Kind an, und ich bekam Angst vor ihr, genauer: vor mir. Daß ich wieder einmal eine Sehnsucht im Keim ersticken müßte, wenn ich nicht die barmherzige Geborgenheit der Gewohnheiten, vor allem der Partnerschaft mit Sue, aufs Spiel setzen wollte. Es gelang mir, Josefa aus meinem Kopf zu verdrängen. Als Koordinator und Report-Manager lernt man so etwas bis zur Perfektion, und damals hätte ich wohl jede Meisterschaft in Gefühlsabtrei-bung gewonnen. Tatsächlich, ich vergaß sie.
Bis Josefa anrief. In einem Augenblick wehrloser Einsamkeit.
Wußte sie, daß Sue nach Xeros unterwegs war?
Sicher nicht.
Auch nicht, daß ich an diesem Tag, an dem fast alles schiefgelaufen war, so gründlich, daß ich nicht in der Lage war, die Erbärmlichkeit meines kompro-mißreichen Lebens in die Tiefen des Unterbewußtseins zurückzuscheuchen, mich steinalt fühlte. Alt und versteinert.
Josefa weckte in dieser Nacht einen Jungen in mir, 88
der längst gestorben schien.
Es war eine Nacht wie tausendundeine zugleich.
Ich war wie verzaubert. Ich ahnte nicht, daß ich ent-zaubert war, daß in dieser Nacht die versteinerte Blume zu tauen begann. Als die Kerzen verloschen, zog Josefa den Vorhang auf und ließ die Monde ein.
Ein paar Schneeflocken setzten sich an die Scheibe, wir zählten sie. Die Stunden zählten wir nicht. Wir schwammen im Licht der beiden Monde von Sonne zu Sonne, irgendwo unterwegs verloren wir unsere Galaxis.
Als wir am Morgen erwachten, war der
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