Die Phrrks
jetzt sein könnte: fast vier. Selbst wenn würde jemals ein Henderson vom Barnardstern zur Erde zurückkehren? Kolonisten kehrten in der Regel nicht zu-rück, schon gar nicht die Auswanderer, ein Leben reichte nur für einen Weg, und ihre Nachfahren nein, wenn der Pazifik ihn begrub… Er lachte bitter. Wenigstens mit seinem Tod hielt er sich an die Famili-entradition.
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Alle Hendersons die der Svanvall-Sippe! Es gab mehr als reichlich Hendersons in Skandinavien hatten mit dem Meer, zumindest mit Wasser zu tun.
Auch für ihn war das selbstverständlich gewesen.
Deshalb schrieb er sich nach dem Pflichtstudium an der Sektion für Astrohydrologie ein, obwohl er damit geliebäugelt hatte, Historiker zu werden; für ihn war das Geschichtsstudium keine bloße Pflicht gewesen wie für viele seiner Kommilitonen. Die Hendersons waren eine traditionsbewußte Familie, schon den Kleinen wurden neben Märchen und Volkssagen die Geschichten von den Ole Henriks erzählt, sicher viele davon erfunden, wie die von Ole Henrik dem Kopflosen, den man als Seeräuber köpfte.
Und er schritt vorüber an seinen Mannen / an Henker und Richtern und all den Gaffern / den Kopf unter dem linken Arm, die Rechte / zum Gruß erhoben, angewinkelt, wo einst / seine Stirn gewesen, die er nun an die blutige Jacke preßte / aufrecht und festen Schrittes, weit ausholend / wiegend, als stünde er noch an Bord seiner HALSUNGA / ging Ole Henrik zum Friedhof / und legte sich selbst in sein düsteres Grab…
Die Svanvall-Hendersons konnten ihre Ahnentafel bis in das Mittelalter zurückverfolgen. Ein Henrik Henderson hatte den Aufstand der Bauern unter Engelbrekt Engelbrektsson mitgemacht, ein anderer war als Leutnant unter König Gustav Adolf von Schwe-97
den im Dreißigjährigen Krieg in Deutschland gefallen; auf Svanvall hing eine Kopie des Gemäldes von der Landung Gustav Adolfs auf Usedom, und direkt neben seinem König stand der junge Mann mit dem dünnen Lippenbart und den großen schwarzen Augen, den die Agenda unter dem Bild als »Lütenant Henrik von Svanvallen« auswies. Auch er, Kristian, hatte auf der Europareise, die jeder Henderson zu seinem zwanzigsten Geburtstag geschenkt bekam, das Grab in Sachsen besucht, hatte in Stralsund im Hof des Rathauses der Bronzebüste von Gustav Adolf an die Bartspitze gefaßt wie Dutzende von Hendersons vor ihm seit über vierhundert Jahren…
Das Concerto war zu Ende, er drehte den Kristall.
Concerto e-Moll, sagte eine zarte Frauenstimme, Allegro, Andante, Allegro. Die hellen Töne der Barocktrompeten setzten ein… er war der letzte gewesen. Das Henderson-Alphabet endete mit K.
Seit nahezu tausend Jahren hießen alle erstgeborenen Hendersons Henrik, aber im 19. Jahrhundert hatte Ole Schiffer-Henrik einer der letzten Segelschiffs-kapitäne, er befuhr die Route Stockholm New York mit seiner Dreimastbark, den Brauch des zweiten Vornamens eingeführt, hatte seinem Sohn einen Adolf hinzugegeben, der wiederum seinem Erstgebo-renen ein B: Bernhard, danach kamen Carl, Ditter, Erik, Frederik, Gustav, Harms, Ingar, Jan, eine Sta-fette von Generation zu Generation. Und bei ihm riß 98
die Kette ab, bei dem Unbedeutendsten von allen…
Ole Carl war in die Geschichtsdateien, sogar in die Kurzfassungen eingegangen; auf Svanvall hing ein Porträt von Ole Carl, das ihn nicht in Uniform zeigte, sondern mit seiner Geige, ein zierlicher, blaßhäutiger Mann, dem niemand den Konteradmiral zutraute, schon gar nicht seinen Spitznamen: der Eiserne Carl; er hatte als Leiter der Weltabrüstungskommission die Kernwaffen, soweit sie nicht anders zu verwenden waren, mit Raketen zur Sonne schießen lassen, wo sie explodieren konnten, ohne Schaden anzurichten.
Ole Ditter hatte für die Entdeckung der submo-lekluiden Struktur des Wassers den Nobelpreis bekommen. Ole Ingar hätte ihn beinahe bekommen, er war nominiert. Ein Meerstreicher wie sein Enkel.
Kristian hatte überlegt, ob er ihm einen Abschiedsbe-such machen sollte, Ole Ingar trieb sich gerade in den Unterwasserfarmen vor Taiwan herum, versuchte noch immer, neue Fermente und Prostaglandine und Steroide und was weiß noch für Wirkstoffe in den winzigen Meeresorganismen der Korallenriffe zu entdecken, die man dann für Medikamente in der Humanmedizin verwenden konnte; vor dreißig Jahren hatte Ole Ingar in einer Seegurkenart ein Interfe-ron gegen den Schnupfenvirus entdeckt und damit die Menschheit von dieser jahrtausendealten Plage befreit; den Nobelpreis hatte er nicht
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