Die Phrrks
das Kreuz durch, verschränkte die Hände im Nacken, atmete tief; eins, zwei, drei, vier… bei zweihundertzehn ließ der Druck auf der Brust nach, bei vierhundert konnte er zum Wechselrhythmus übergehen: hecheln, Luft anhalten, pressen, schreien, tief durchatmen, hecheln…
So ähnlich, hatte Nilsson erklärt, hätte man es früher den Frauen beim Gebären beigebracht. Nach einer Stunde fühlte er sich wie neugeboren: körperlos schlapp. Aber ruhig und wieder voller Hoffnung.
Er nahm sich die Seekarten vor. Nicht einmal ein unbewohntes Atoll in erreichbarer Nähe, auf dem er Rast einlegen konnte. Ein Stück voraus jedoch war ein Riff eingezeichnet, das südliche Schietmans-Riff war das nicht Altdeutsch und bedeutete Scheißkerl?
Er lachte laut auf. Der richtige Ort für sein Grab.
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Aber vielleicht schaffte er es noch einmal, konnte sich dort ein paar Tage ausruhen; wenn die Karten recht behielten und der Meeresgrund sich seit der letzten Kartierung nicht gesenkt hatte, ragte das Riff bis zu zwei Metern unterhalb der Wasseroberfläche hinauf, genug, um das Boot zu ankern und auftauchen zu lassen. Auf Deck langmachen und in der Sonne baden, dachte er, Sonne würde ihm guttun.
Mit einem Mal dürstete es ihn geradezu nach Sonnenschein, am liebsten wäre er auf der Stelle aufgetaucht, aber er hatte nicht die Kraft dazu; Tauchen und Auftauchen verbrauchten am meisten Kraft er fühlte sich nicht einmal stark genug, die paar Kilometer bis zum Riff zu bewältigen. Daß er nicht für diese seine letzte Fahrt einen Hilfsmotor eingebaut hatte! Er arretierte die Steuerung, legte einen Kristall ein und ließ sich zu den Klängen von Vivaldis Concerto g-Moll treiben. Er war nicht mehr der »Champion«, dem es nichts ausmachte, durch einen Ozean zu trampen. Ein Wrack. Und noch nicht einmal drei-
ßig.
Einmal »zu Fuß« von Europa nach Amerika und
zurück, damit hatte er zum erstenmal Aufsehen erregt. Mann, war das ein Trubel gewesen, als er am Pier von New York auftauchte. Und erst bei der Rückkehr in Stockholm er hatte bewußt die Route von Ole Schiffer-Henrik gewählt. Zugegeben, er war nicht der erste gewesen, der den Atlantik auf diese 94
Weise durchquerte, das hatte vor ein paar hundert Jahren schon ein Deutscher getan, seitdem jedoch war niemand mehr auf die Idee gekommen, in einem nur von Pedalkraft angetriebenen Mini-U-Boot um die Welt zu reisen…
Vater schon, dachte er, aber Vater hatte den Plan aufgegeben. Warum, das stand nicht in den Tagebü-
chern; sicher, weil er damals den Entschluß faßte, in den Kosmos aufzubrechen.
Wo Vater und Mutter jetzt sein mochten? Seit die GAGARIN das Sonnensystem verlassen hatte und auf halbe Lichtgeschwindigkeit beschleunigte, war die Verbindung so gut wie abgebrochen. Er hätte mit ihnen gehen sollen. Er war nicht hiergeblieben, weil ein Henderson auf der Erde bleiben sollte, wie Vater meinte, sondern weil ihm das Leben auf der Erde viel zu verlockend schien, und Mutter hatte ihn darin be-stärkt: erst die Erde kennenlernen. Und dann war da Silke…
Silke hielt nichts von dem Bau des U-Boots. Er hätte die Konstruktionspläne sofort geändert, wenn sie mitgemacht hätte.
Vaters Pläne hatte er sich, wie Silke behauptete, nur darauf gestürzt, weil er sich so Vater näher fühl-te? Ein wenig wie er sein wußte er überhaupt, wie Vater gewesen war? Was weiß ein Kind von seinen Eltern? Wie wenig Tagebücher aussagen…
Er holte seine Jahreskladde hervor, trug Position 95
und Kurs ein, verstaute die Kladde wieder in der Bo-je, holte sie erneut hervor, trug den Tagesspruch ein.
Er konnte die Quintessenz dieses Tages auch jetzt schon ziehen: »Es mag gleichgültig sein, wo ein Mensch stirbt, wenn er nur in Würde aus dem Leben scheidet, doch ein Ort namens Schietmans-Riff scheint mir selbst in dieser Stunde nicht gut genug für meinen letzten Platz auf dieser Welt.«
Ob je jemand die Kladde finden würde? Die Boje wurde hinauskatapultiert, sobald das Boot unter die Hundertmetermarke sank, aber der Pazifik war riesig was machte es schon, wenn sein letztes Tagebuch nie nach Svanvall kam, nicht in seiner Truhe landete, niemand würde sie mehr öffnen. Keine der Truhen.
Er war der letzte Henderson… Ein Gedanke blitzte auf, und er wunderte sich, daß er nicht früher darauf gekommen war: Vielleicht hatte er einen Bruder auf der GAGARIN? Die Eltern hatten ihre Depots mitgenommen, vielleicht hatten sie längst ein Kind zeugen lassen? Er rechnete nach, wie alt sein Bruder
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