Die Phrrks
hier gab es keine Kulissen und nur einen Akteur, Maud, eine Frau um die Fünfzig. Sie saß auf dem Podium, hielt den Kasper, eine babygroße Puppe mit überdimensionalem Kopf, auf dem eine schellenbe-setzte bunte Mütze thronte, mit der linken Hand und unterhielt sich mit ihm, und die Puppe antwortete frech, vorlaut, dummdreist und witzig, eben wie ein Kasperle. Diese Maud mußte eine ausgezeichnete Bauchrednerin sein.
Noch erstaunlicher war, wie sie mit der Puppe hantierte. Kasperle bewegte sich, als sei er lebendig.
Seine Arm- und Körperbewegungen mochte Maud ja mit der Hand dirigieren, die sie in den langen Flik-216
kenrock der Puppe gesteckt hatte, wie aber schaffte sie es, daß Kasperle eine richtige Mimik zeigte, daß er sogar Finger, Mund und Augen bewegte? Dieses Kasperle mußte ein Miniroboter sein, eine raffinierte Konstruktion mit Mikrochips und Servolenkungen.
Das wäre etwas für Pierre, dachte ich, Pierre suchte ständig Attraktionen für seine EUROSAT-Show, und diese Frau war es wert, einmal in Europas beliebte-ster Fernsehsendung aufzutreten.
Dann geschah etwas, das selbst einem so abge-brühten Burschen wie mir den Atem verschlug.
Maud und Kasper hatten die ganze Zeit mit einem Ball gespielt, hatten sich mit den Antworten einen gelben Tennisball zugeworfen, jetzt gab Maud dem Kasperle zwei weitere Bälle, und er jonglierte damit!
Dann sogar mit fünf Bällen. Dieses Kasperle war ei-ne kleine Sensation.
Es war das Ende der Vorstellung. Kasperle breitete graziös seine Arme aus und machte eine tiefe Ver-beugung. Alle klatschten begeistert, schrien nach einer Zugabe, doch Maud schüttelte den Kopf.
»Kasperle ist müde«, sagte sie. »Nicht wahr, Kasperle?«
»Entsetzlich müde.« Es riß den Mund weit auf und gähnte herzzerreißend. »Ich will ins Bett. Und vorher will ich einen Bonbon.«
»Aber Kasper«, sagte Maud, »Bonbon lutschen
macht schlechte Zähne.«
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»Oh!« Kasperle zog einen Flunsch. »Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte.«
»Was meint ihr?« fragte Maud die Kinder. »Soll ich ihm einen Bonbon geben?«
»Ja«, tönte es im Chor, am lautesten schrie eine Oma vor mir.
»Nun gut«, sagte Maud, »dann soll er ausnahmsweise einen bekommen.«
»Dankeschön!« rief Kasperle und verabschiedete sich mit Handküssen von den Zuschauern. Maud nahm ihn wie ein Kind in den Arm. Sie stieg von der Bühne herab und hielt eine Messingschale in die Menge. Fast alle gaben etwas, trotzdem konnte es keine große Einnahme sein, man hörte deutlich die Münzen in die Schale fallen, und als sie in meine Nähe kam, sah ich, daß fast nur Groschen und Fünfziger in der Schale lagen. Ich gab ein Fünfmarkstück, und Kasperle sagte Dankeschön. Er wirkte tatsächlich müde, wie er sich in Mauds Arme schmiegte, aber sie hielt die Puppe wohl so, damit niemand sie anfaßte. Als keine Hand sich mehr reckte, verschwand Maud mit ihm im Wohnwagen.
In diesem Augenblick wußte ich es: Nicht bei Pierre sollte Kasperle auftreten, sondern in meiner Sendung. Als Moderator zwischen den Beiträgen.
Damit war ich alle Sorgen mit dem Moderator los. Es gab kaum einen Journalisten, der gut genug dafür war und sich auf Dauer mit seiner Rolle zufrieden-218
gab, und, noch wichtiger, ein Kasperle konnte Dinge aussprechen, die keinem seriösen Moderator gestattet wurden, konnte freche, sogar dreiste Bemerkungen machen, Anspielungen… Ich dankte dem Zufall, der mich nach Mieshof verschlagen hatte.
Es dauerte eine Weile, bis Maud aus dem Wohnwagen kam und sich daranmachte, die Bühne zu-sammenzulegen. Ich wartete, bis sie fertig war.
»Ich möchte Sie sprechen«, sagte ich.
Sie sah mich verstört an. »Polizei?« fragte sie fast unhörbar.
Ganz offensichtlich hatte sie Angst. Hoffentlich wurde sie nicht wegen eines Verbrechens gesucht, dann war mein schöner Plan im Eimer. Wahrscheinlich stimmt etwas nicht mit ihrer Lizenz, dachte ich, deshalb tingelt sie auch über die Dörfer.
»Nein«, versicherte ich, »ich bin Herb Kienzle.
Vom Fernsehen.«
»Etwa der Kienzle von FOKUS?« Sie sah sich
meinen Presseausweis ganz genau an. »Ich hatte Sie mir jünger vorgestellt«, sagte sie. »Jetzt verstehe ich auch, warum Sie nie selbst in Ihren Sendungen auftreten mit der Glatze und dieser Nase!«
»Es ist weniger meine Eitelkeit«, sagte ich, »aber wenn jemand mein Gesicht kennt, würde ich kaum noch in die Nähe meiner Klienten gelangen.«
»Klienten?« Sie lachte. »Eher wohl Opfer. Aber mir gefällt, was Sie
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