Die Phrrks
Bedeutendes, Fuß-
volk, aber ehrgeizig. Als ich gerade sechzehn war, starben meine Eltern bei einem Unfall. Von einem Tag zum anderen stand ich mittellos da. Arbeiten?
Ich hatte nichts gelernt. Und eine Lehrstelle? Sie wissen doch, wie es damit aussieht. Ich hatte keine Beziehungen. Meine Eltern hatten ganz für ihre Arbeit gelebt, da waren nicht mal Freunde, die mir jetzt helfen konnten, keine Verwandten, nur eine Groß-
mutter, die selbst Hilfe brauchte. Unterstützung bekam ich nicht, ich war ja schon erwerbsfähig, nur ein paar Mark Sozialhilfe. Also Wohnung verkaufen, eine billige Bude, hier und da mal ein Tagesjob.
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Dann kam Frank.« Sie hielt mir ihr Glas hin. »Meine erste Liebe. Die große Liebe, von der jeder Teenager träumt. Er sah blendend aus, fuhr einen Superwagen, hatte eine phantastische Wohnung, es war wie ein Sechser im Lotto. Drei Wochen lang. Dann sagte er, er sei pleite, müsse alles verkaufen und wir müßten uns trennen. Es sei denn…«
»Sie liebten ihn so sehr, daß Sie ihm helfen würden«, ergänzte ich. »Er wollte Sie auf den Strich schicken?«
»Nicht auf den Strich. Wahrscheinlich hätte ich selbst das damals für ihn getan. Nein, Frank machte mir den Vorschlag, Mietmutter zu werden. Zwei, drei Jahre, sagte er, und wir sind aus allem heraus. Ein Kind zu bekommen ist doch kein Problem für eine junge gesunde Frau. Leichte Arbeit. Was willst du sonst machen? Gelernt hast du nichts, nicht einmal kochen. Wie recht er hatte. Ich konnte nichts, und ich besaß nichts als meinen Körper. Hab keine Angst, sagte er, du sollst dich nicht von wildfremden Männern schwängern lassen, eine Viertelstunde beim Doktor, dann mußt du nur noch das Kind austragen.
Und abkassieren. Er gab mir Prospekte von Anwalts-kanzleien, die Mietmütter vermitteln. Eine Monats-gage, von der ich nur träumen konnte, dazu eine mir geradezu fürstlich erscheinende Erfolgsprämie. Warum nicht, dachte ich schließlich. Es ist ein anerkann-ter Job. Hunderte tun ihn. Wäre ich lieber auf den 228
Strich gegangen.«
Ihr Glas war schon wieder leer. Ich ging zum Wagen, um eine neue Flasche zu holen. Eine Mietmutter also. Ich erinnerte mich noch gut an die heißen De-batten an der Uni. Damals ging es darum, ob Miet-mutterschaft als Gewerbe staatlich sanktioniert werden sollte. Mutterschaft als neue Form der Prostitution, sagten die Gegner, pervers sei das, die Gebärmutter wie einen Leihwagen zu vermieten, Eierstöcke
»abzuernten«, Frauen zu Gebärmaschinen zu degra-dieren, wie Zuchtsauen zu behandeln… Na und, sagten die anderen, Männer gehen doch schon lange als Zuchtbullen. Wer hat noch was gegen Samenspen-der? Wo bleibt die Gleichberechtigung? So wie jeder Mann seinen Samen verkaufen darf, muß jede Frau das Recht haben, über ihre Eizellen und über ihre Gebärmutter zu verfügen. Es ginge doch nur darum, einen längst bestehenden Zustand zu legalisieren.
Liefen nicht schon Hunderte von Kindern herum, deren Väter nicht die wahren Väter, deren Mütter nicht die leiblichen Mütter seien?
Warum nicht den bedauernswerten Frauen, die
keine Kinder bekommen könnten, legal helfen? Warum nicht armen Frauen so eine Chance geben, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Warum nicht Mutterschaft als eine gesellschaftlich nützliche Dienstleistung anerkennen?
Auch ich war damals vehement für die Legalisie-229
rung eingetreten. Praktiziert wurde es ohnehin, durch Legalisierung konnten die unwürdigen Zustände auf dem schwarzen Muttermarkt beendet werden. Vor Jahren hatte ich meine Meinung geändert. Als bekannt wurde, wie hoch die Selbstmordrate bei den Mietmüttern war. Ich hatte mit Dutzenden gesprochen, fast alle waren psychisch zerbrochen, selbst die, die jetzt Familie hatten und ein eigenes Kind.
Kaum eine hatte es verkraftet, Kinder zu bekommen und wegzugeben, viele waren dem Alkohol oder den Drogen verfallen. Aber Maud war anders.
Bestimmt keine Drogenabhängige. Nicht einmal Alkoholikerin.
»Das ist doch nicht alles«, sagte ich.
»Raten Sie, wie oft ich schwanger war.«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Sie würden es nie erraten. Über dreißigmal.«
»Das, das verstehe ich nicht«, stotterte ich.
»Das ist auch kaum zu verstehen. Kaum zu glauben.« Sie kippte den Wein in einem Zug hinunter.
»Im Dienste der Wissenschaft.«
»Der Wissenschaft?« fragte ich fassungslos.
»Sie glauben mir kein Wort, was? Aber es ist die Wahrheit!
Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Ich weiß nicht, wie
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