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Die Phrrks

Die Phrrks

Titel: Die Phrrks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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getroffen hätte. Aber ich war in Mieshof. Zu dieser Stunde.
    Ich kam von der Zugspitze. Da ich Angst hatte, auf der Autobahn am Lenkrad einzuschlafen, war ich Landstraße gefahren, von Garmisch-Partenkirchen am Alpenrand entlang, dann über Walchensee, Be-nediktbeuren, Bad Tölz…
    Solange die Straße voller Kurven und die Landschaft voller Überraschungen war, blieb ich munter, aber dann erwischte es mich doch; im letzten Augenblick schreckte ich hoch, konnte das Lenkrad gerade noch herumreißen, ein gewagtes Manöver aus Stot-terbremsen und Gasgeben und wieder Bremsen und Kurven, und mein Wagen schlängelte sich haarscharf zwischen Straßengraben und Bäumen, zwischen
    Traktor und Radfahrer hindurch, ein Manöver, das ich bei wachem Verstand gewiß nicht geschafft hätte.
    Das erste, was ich wieder bewußt wahrnahm von meiner Umgebung, war ein riesiger Friedhof hinter einer exakt geschnittenen dichten Hecke, wahrscheinlich ein Soldatenfriedhof aus dem letzten europäischen Krieg.
    Ich war verrückt, so zu rasen. Wenn ich hier auf der Landstraße verreckte, platzte nicht nur der Sen-determin. Im nächsten Ort würde ich Pause machen, 213
    und daß er Mieshof hieß, war mir recht. Weiß der Himmel, mir war mies zumute. Meine Glieder noch immer steif vom Frost. Im Juli!
    Während seit Tagen tropische Hitze über dem
    Flachland brütete, lag auf der Zugspitze Neuschnee, erst als ich die Leute in dicken Pullovern und Män-teln zur Seilbahnstation gehen sah, hatte ich an den Klimaunterschied gedacht. Wenigstens einen alten Pullover fand ich im Kofferraum. Gewiß, das Zug-spitzhotel war gut geheizt, aber ich war nicht gekommen, um mir bei Kaffee und Kuchen das Alpen-panorama anzusehen, ich wollte Dr. Weißenbacher sprechen. Weißenbacher war der einzige, bei dem ich mir eine Chance ausrechnen konnte, die Wahrheit zu erfahren: ob, allen Dementis zum Trotz, nach dem Reaktorunfall von Contenay radioaktiv verseuchter Schnee auf der Zugspitze gefallen war.
    In das Observatorium hatte man mich gar nicht erst hineingelassen, nachdem ich meinen Namen genannt hatte, und der Wachmann wollte mich nicht einmal für einen Hunderter im Eingang warten lassen, aber er versprach, mir ein Lichtzeichen zu geben, sobald Dr. Weißenbacher das Observatorium verließ.
    Weder in der Hotelhalle noch im Restaurant gab es einen Platz, von dem aus ich den Eingang des Observatoriums sehen konnte. Also wartete ich draußen, in einer Ecke des Hotelgebäudes, nur halbwegs ge-214
    schützt vor dem eisigen Wind, dann in der zugigen Station des kleinen Lifts, den jeder benutzen mußte, der mit der Seilbahn oder der Zugspitzbahn hinunter-fahren wollte. Als die Nacht hereinbrach, ging ich noch einmal zum Observatorium und erfuhr, daß Weißenbacher längst weg war. Der Mann mit dem Hunderter auch. Und inzwischen die letzte Seilbahn.
    Das Hotel war ausverkauft. Ich durfte die Nacht in einem Sessel in der Halle verbringen, nach Restau-rantschluß, versteht sich, schon vor Sonnenaufgang stand ich wieder draußen, kreuzlahm, übernächtigt und bibbernd, um die erste Gondel abzupassen, was tut man nicht alles für seinen Job.
    Weißenbacher kam auch nicht mit der zwölften Gondel. Für einen zweiten Hunderter verriet mir der neue Wachmann, daß er die ganze Woche nicht mehr kommen würde, und für einen dritten Blauen erfuhr ich, wo ich Weißenbacher erreichen konnte: in seinem Haus in Traunstein. Frierend und fluchend brach ich auf…
    Jetzt, nach ausgiebigem Frühstück und halbstündi-gem Sonnenbad im Vorgarten des Ratscafes, fühlte ich mich wieder fit.
    Dieses Mieshof war ein blitzsauberes Städtchen, das nicht nur am Markt gepflegte alte Häuser besaß, es machte Spaß, durch die engen Gassen zu schlen-dern. Plötzlich stieß ich auf eine Menschenmenge, meist Kinder und Alte, die sich lachend und juch-215
    zend um ein kleines Podium drängten, einen Autoanhänger, der zur Bühne geworden war, ein Kasperletheater, wie die kakelbunte Schrift verriet: Kasperle ist wieder da! Maud und ihr sprechender Kasper.
    Kindheitserinnerungen blitzten auf. Jahrmarkt, Rummel. Roch es nicht nach Zuckerwatte und ge-brannten Mandeln? Aber auf dem kleinen Platz stand nur der Autoanhänger und davor ein ziemlich abge-takelter Wohnwagen, ein 97er FORDMOBIL.
    Ich war im Nu eingefangen, verzaubert, obwohl es anders war als das Kasperletheater, das ich aus meiner Kindheit kannte.
    Keine Handpuppen, die in die Kulisse gehalten wurden, so daß man die agierenden Spieler nicht sah,

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