Die Physiker
Jüngster,
Jörg-Lukas. Vierzehnjährig.
JÖRG-LUKAS Grüß dich, Papi.
MÖBIUS Grüß dich, Jörg-Lukas,
mein Jüngster.
FRAU ROSE Er gleicht dir am
meisten.
JÖRG-LUKAS Ich will ein Physiker
werden, Papi.
MÖBIUS starrt
seinen Jüngsten erschrocken an Physiker?
JÖRG-LUKAS Jawohl, Papi.
MÖBIUS Das darfst du nicht,
Jörg-Lukas. Keinesfalls. Das schlage dir aus dem Kopf. Ich – ich verbiete es
dir.
JÖRG-LUKAS ist verwirrt Aber du bist doch auch ein Physiker geworden, Papi –
MÖBIUS Ich hätte es nie werden
dürfen, Jörg-Lukas. Nie. Ich wäre jetzt nicht im Irrenhaus.
FRAU ROSE Aber Johann Wilhelm,
das ist doch ein Irrtum. Du bist in einem Sanatorium, nicht in einem Irrenhaus.
Deine Nerven sind einfach angegriffen, das ist alles.
MÖBIUS schüttelt den Kopf Nein, Lina. Man hält mich für [38] verrückt. Alle. Auch
du. Und auch meine Buben. Weil mir der König Salomo erscheint.
Alle schweigen verlegen. Frau Rose stellt Missionar
Rose vor.
FRAU ROSE Hier stelle ich dir
Oskar Rose vor, Johann Wilhelm. Meinen Mann. Er ist Missionar.
MÖBIUS Dein Mann? Aber ich bin
doch dein Mann.
FRAU ROSE Nicht mehr, Johann
Wilhelmlein. Sie errötet. Wir sind doch geschieden.
MÖBIUS Geschieden?
FRAU ROSE Das weißt du doch.
MÖBIUS Nein.
FRAU ROSE Fräulein Doktor von
Zahnd teilte es dir mit. Ganz bestimmt.
MÖBIUS Möglich.
FRAU ROSE Und dann heiratete ich
eben Oskar. Er hat sechs Buben. Er war Pfarrer in Guttannen und hat nun eine
Stelle auf den Marianen angenommen.
MISSIONAR ROSE Im Stillen Ozean.
FRAU ROSE Wir schiffen uns
übermorgen in Bremen ein.
Möbius schweigt, die anderen sind verlegen.
FRAU ROSE Ja. So ist es eben.
MÖBIUS nickt
Missionar Rose zu Es freut mich, den neuen Vater meiner Buben
kennenzulernen, Herr Missionar.
MISSIONAR ROSE Ich habe sie fest
in mein Herz geschlossen, Herr Möbius, alle drei. Gott wird uns helfen, nach
dem Psalmwort: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.
[39] FRAU ROSE Oskar kennt alle
Psalmen auswendig. Die Psalmen Davids, die Psalmen Salomos.
MÖBIUS Ich bin froh, daß die
Buben einen tüchtigen Vater gefunden haben. Ich bin ein ungenügender Vater
gewesen.
FRAU ROSE Aber Johann
Wilhelmlein.
MÖBIUS Ich gratuliere von ganzem
Herzen.
FRAU ROSE Wir müssen bald
aufbrechen.
MÖBIUS Nach den Marianen.
FRAU ROSE Abschied voneinander
nehmen.
MÖBIUS Für immer.
FRAU ROSE Deine Buben sind
bemerkenswert musikalisch, Johann Wilhelm. Sie spielen sehr begabt Blockflöte.
Spielt eurem Papi zum Abschied etwas vor, Buben.
DIE BUBEN Jawohl, Mami.
Adolf-Friedrich öffnet die Mappe, verteilt die
Blockflöten.
FRAU ROSE Nimm Platz, Johann
Wilhelmlein.
Möbius nimmt am runden Tisch Platz. Frau Rose und
Missionar Rose setzen sich aufs Sofa. Die Buben stellen sich in der Mitte des
Salons auf.
JÖRG-LUKAS Etwas von Buxtehude.
ADOLF-FRIEDRICH Eins, zwei,
drei.
Die Buben spielen Blockflöte.
FRAU ROSE Inniger, Buben,
inniger.
Die Buben spielen inniger. Möbius springt auf.
[40] MÖBIUS Lieber nicht! Bitte, lieber nicht!
Die Buben halten verwirrt inne.
MÖBIUS Spielt nicht weiter.
Bitte. Salomo zuliebe. Spielt nicht weiter.
FRAU ROSE Aber Johann Wilhelm!
MÖBIUS Bitte, nicht mehr
spielen. Bitte, nicht mehr spielen. Bitte, bitte.
MISSIONAR ROSE Herr Möbius.
Gerade der König Salomo wird sich über das Flötenspiel dieser unschuldigen
Knaben freuen. Denken Sie doch: Salomo, der Psalmendichter, Salomo, der Sänger
des Hohen Liedes!
MÖBIUS Herr Missionar. Ich kenne
Salomo von Angesicht zu Angesicht. Er ist nicht mehr der große goldene König,
der Sulamith besingt und die Rehzwillinge, die unter Rosen weiden, er hat
seinen Purpurmantel von sich geworfen –
Möbius eilt mit einem Male an der erschrockenen
Familie vorbei nach hinten zu seinem Zimmer und reißt die Türe auf.
MÖBIUS – nackt und stinkend
kauert er in meinem Zimmer als der arme König der Wahrheit, und seine Psalmen
sind schrecklich. Hören Sie gut zu, Missionar, Sie lieben Psalmworte, kennen
sie alle, lernen Sie auch die auswendig:
Er ist zum runden Tisch links gegangen, kehrt ihn
um, steigt hinein, setzt sich.
[41] MÖBIUS
Ein Psalm Salomos, den Weltraumfahrern zu singen.
Wir hauten ins Weltall ab.
Zu den Wüsten des Monds. Versanken in ihrem Staub.
Lautlos verreckten
Manche schon da. Doch die meisten verkochten
In den
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