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Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)

Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Pilatus-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf D. Sabel
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du in diesen Räumlichkeiten nicht nennen«, wandte sich Tiberius mit düsterer Miene an mich. »Sie hat Schande über Rom gebracht! Ihre Fahnen sind verloren, ihre Zeichen werden aus dem Verzeichnis getilgt!«
    Und dann begannen die Fragen.
    Sturzbachartig ergossen sie sich über mich. Während die Federn der Schreiber über den Papyrus kratzten, versuchte ich sie so gut wie möglich zu beantworten. Anfangs antwortete ich noch zögernd, machte Pausen und griff ständig nach dem Wasser, das man mir auf den Tisch gestellt hatte. Dann aber redete ich mich in Erregung, und während ich die Worte formte, tauchten mir die Gesichter meiner erschlagenen Kameraden auf, quälten mich ihre Todesschreie.
    Wie war das Wetter? Wie verhielten sich die Offiziere? Zu welcher Tageszeit griffen die Germanen an? War ein ordnungsgemäßes Lager errichtet worden? Was war auf den Stabsbesprechungen besprochen worden? Über welche Ausrüstung hatten die Feinde verfügt? War der Heereszug nach den Regeln in Vorhut, Haupttruppe, Tross und Nachhut aufgeteilt worden? Wo stand die Reiterei? Wie hoch wurde die Zahl der Germanen geschätzt? Hatten die Männer auf ihre Offiziere gehört? Wo hatte ich persönlich gekämpft?
    Es schienen mir tausend Fragen zu sein, die die Männer im Wechsel auf mich abfeuerten. Am meisten Tiberius, dann der Consul, am wenigsten Seianus. Er war auch der Einzige, der mir gelegentlich ein dünnes Lächeln schenkte, während mich die anderen den Eindruck gewinnen ließen, ich wäre der Hauptverantwortliche für die Katastrophe im Teutoburger Wald.
    Ich weiß nicht, wie lange diese peinliche Befragung dauerte. Fest steht aber, dass die Sonne schon ihren höchsten Stand erreicht hatte, als die Männer sich zunickten. Offenbar hatte ich alle Fragen zu ihrer Zufriedenheit beantwortet, denn sie entließen mich mit deutlich freundlicherer Miene, als sie mich empfangen hatten.
    Mein Schädel brummte, ich hatte Kopfschmerzen, und meine Kehle war völlig ausgedörrt. Die Thermen und ein ordentlicher Wein, das hätte Körper und Seele jetzt erfrischen können. Aber dazu kam es nicht.
    Kaum auf dem Flur angelangt, trat ein riesenhafter Prätorianer vor mich und befahl mir mitzukommen. Er führte mich in den westlichen Teil des Palastes und hieß mich warten. Wenig später traten zwei Gardisten an mich heran, durchsuchten mich gründlich nach allen Waffen (die ich gar nicht erst angelegt hatte), nahmen mir mit strengerMiene ein kleines Obstmesser weg, das ich stets mitführte, und brachten mich in einen sonnendurchfluteten Raum, an dessen Fenster ein Mann lehnte. Im Gegensatz zu den Gängen war dieser Raum von spärlicher Ausstattung und kargem Mobiliar.
    Die Gardisten ließen uns allein, und als der Mann sich herumdrehte, war meine Überraschung noch größer als zuvor.
    Vor mir stand Caesar Octavianus Augustus, mein Princeps und Kaiser, der mächtigste Mann des Imperiums, ja, des ganzen Erdkreises.
    Ich erstarrte in Ehrfurcht!
    Jahre zuvor hatte ich ihn persönlich gesehen, zuletzt bei einer Truppenparade auf dem Forum. Ich kannte sein Bildnis auch von zahlreichen Statuen und Münzen, jetzt aber hätte ich ihn fast nicht erkannt. Wie ein Zerrbild seiner selbst stand er da vor mir, in blütenweißer Toga. Das Haupthaar nicht gekämmt und von unrömischer Länge, das Gesicht musste schon seit langer Zeit kein Rasiermesser gesehen haben, denn silberne Stoppeln verunzierten sein immer noch edles Gesicht. Tief lagen seine Augen in ihren Höhlen und flackerten unstet. Nach meiner Vorstellung musste der Princeps jetzt über siebzig Jahre sein, doch der Mann, der vor mir stand, erschien mir wesentlich älter. Und wo war die Energie geblieben, die man ihm auch im hohen Alter immer noch nachsagte? Dieser Mann hier machte einen zerbrochenen Eindruck. Zerbrochen an jenem Land, aus dem ich kam?
    Mit leiser Stimme sprach er mich an, die Hände immer in fahriger Bewegung. Dabei starrte er mich aus trüben Augen an, doch schien er durch mich hindurchzublicken. Er stellte viele der Fragen, die ich gerade erst beantwortet hatte. Zwischendurch setzte er sich erschöpft auf eine der Liegen, trank etwas Wasser, bot mir Wein und Obst an, fragte wieder und wieder. Ob meine Antworten aber sein Ohr überhaupt erreichten, wusste ich nicht.
    Dann stand er plötzlich auf, nahm behutsam meinen Arm und zog mich zur Wand, an der eine große Karte Germaniens aufgemalt war. Wie zur Entschuldigung flüsterte er: »Ich werde all die Akten noch lesen, die meine

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