Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)
Schreiber zurzeit darüber anfertigen, Tribun, aber es ist mir wichtiger, die Zeugen selbst zu hören. Sieh hier!«
Er führte seine feingliedrigen Finger über die Karte, überquerte mit ihnen den Rhenus und blieb an einer Stelle stehen, an der in großenroten Buchstaben die Wörter »Saltus Teutoburgiensis« verzeichnet waren.
»Hier habe ich meine Legionen verloren, Tribun! Zwanzigtausend treue Männer, gute Soldaten, viele von edlem Blut. Hier starb ihr Feldherr, dem ich meine Nichte zur Frau gegeben habe.«
Hörte ich recht? War es ein Schluchzen, das aus dem Munde des gebrochenen Mannes kam? Täuschte ich mich, oder waren es Tränen, die aus seinen blinden Augen rannen?
Längst hatte er sich abgewandt und sprach nicht zu mir, sondern zu sich selbst. Heiser war seine Stimme und kaum vernehmbar.
»Mein tapferes Heer, an Mut, Zucht und Erfahrung reich, der Stolz meines Imperiums, durch das Zögern seines Führers, durch die Tücke des Feindes, durch die Missgunst des launischen Schicksals geriet es in eine Falle! Hingeschlachtet wie Vieh in den Sümpfen und Wäldern eines barbarischen Landes. Niedergemacht bis zum letzten Mann. Und Varus? Er hatte mehr Mut zum Sterben als zum Kämpfen, durchbohrte sich mit seinem eigenen Schwert! Wie es sein Vater und sein Großvater schon taten!«
Das war mir neu. Auch fand ich die Charakterisierung des Kampfes wie die meines Feldherrn wenig zutreffend. Hätte doch der Cäsar selbst in diesen Sümpfen gestanden! Er hätte die Ausweglosigkeit der Situation erkannt. Die Übermacht der Feinde! Die Unwegsamkeit des Geländes, die ein Kämpfen nach römischen Maßstäben gar nicht erst zuließ. Schließlich die Tücke des Arminius, dem unser Legat vertraut hatte. Zählten Treue und Vertrauen denn nichts mehr bei diesen Völkern? Hatte jener Mann nicht an unseren Tischen gesessen, unseren Wein getrunken, mit uns gelacht und gescherzt? Hatte er nicht seine Ausbildung, die er dann gegen uns wandte, von unseren Centurionen erfahren?
Allein, mir fehlte es natürlich an Mut zum Widerspruch. Schweigend ließ ich die bitteren Worte über mich ergehen. Längst schon schien der Princeps meine Anwesenheit völlig vergessen zu haben. Urplötzlich wandelte sich seine Trauer in schiere Wut. Fast sträubt sich meine Erinnerung, es hier zu berichten, aber der große Cäsar schlug seine Stirn plötzlich mehrfach gegen die Wand und schrie: »Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder!«
Der Schmerz ließ ihn ernüchtern. Blut rann in dünnem Rinnsal von seiner Stirn.
Plötzlich bemerkte er mich, die lodernden Blicke verloschen. Die Arme fielen kraftlos herunter. Er rang sich ein gequältes Lächeln ab und entließ mich mit einer stummen Handbewegung.
XII.
»Stille Nacht, heilige Nacht ...« – mindestens zum dritten Mal tönte das bekannteste Weihnachtslied der Welt aus blechernen Boxen über den Weihnachtsmarkt. Hand in Hand schlenderten Frank Hellinger und Conny Baumeister durch die engen Gassen zwischen den zahlreichen Ständen am Kölner Alter Markt. Es war deutlich kälter geworden, und viele träumten schon den ewigen Traum aus Kindertagen, den von der weißen Weihnacht. Aber in Köln ...?
Vorweihnachtliche Düfte von Glühwein, Zimtkerzen und Lebkuchen zogen durch die winterklare Luft und mischten sich mit Pizza, Bratwürsten und Fischbrötchen zu einem Geruchsinferno. Und doch brachten sie zusammen mit dem herrlichen Altstadt-panorama des Marktes etwas von der romantisch verzaubernden Stimmung zurück, die beide als Kinder so sehr genossen hatten. In dieser anheimelnden Atmosphäre war es beiden gelungen, die unerfreulichen Ereignisse der letzten Tage etwas zu vergessen. Noch drei Tage bis zum Fest.
»Wir müssen noch etwas für deine Oma holen«, erinnerte Conny Hellinger nachdrücklich und schmiegte sich zärtlich in seinen Arm. Hellinger brummelte etwas von einer Flasche 4711 und steuerte den nächsten Glühweinstand an.
»Wie geht es jetzt mit den Schriftrollen weiter?«, flüsterte Conny, als sei der ganze Markt voller ungebetener Zuhörer. Hellinger probierte vorsichtig einen Schluck des heißen Getränks. Eine wohlige Wärme machte sich in seinem Magen breit. Achselzuckend meinte er: »Ich weiß nicht, der Doktor wird sich melden, sobald die nächste Rolle geöffnet ist.«
»Und was hat der Anwalt gesagt?«
»Dr. von Weimar?«
Hellinger verzog sein Gesicht, als der heiße Glühwein erneut seine Kehle erreichte.
»Also, er ist Experte für Mietrecht, wie er sagt,
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