Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)
zurück und nahm einen Spekulatius. »Auch einen?«
Seine Gäste verneinten.
»Wann kommt der Mann?«
»12.00 Uhr«, antwortete Hellinger. Seine Zunge war schwer geworden, der Wein, den er regelmäßig nachfüllte, begann, seine Wirkung zu entfalten.
»Also halb zwölf oder elf«, meinte Wiegand versonnen.
»Wieso? Sind die so unpünktlich?«, fragte Conny. Nachdenklich betrachtete sie ihren halb trunkenen Freund.
»Journalisten auf Recherche kommen immer eine halbe oder eine Stunde früher zum Treffpunkt, damit ihre Gesprächspartner sich weniger vorbereiten können.«
Erstaunt blickte Hellinger den Pensionär an. »Woher wissen Sie das?«
»Hab lange bei uns die Schülerzeitung betreut. Wir haben das immer so gemacht.«
Verdutzt guckten die jungen Leute ihn an. Wiegand lachte. »War nur ein Scherz. Aber Scherz beiseite.« Er blickte auf seine uralte Uhr mit dem verschlissenen schwarzen Lederarmband.
»Es ist jetzt zehn, das gibt uns noch gut anderthalb Stunden. Es wird uns schon was einfallen. Auf jeden Fall halte ich es für sinnvoll, wenn Conny und ich dabei sind. Wir sind dann zu dritt und ...«
Das Klingeln an der Wohnungstür unterbrach ihn. Entgeistert blickten sie sich an.
»Ist er das schon?«, flüsterte Conny.
»Wir werden sehen!« Wiegand stand auf und ging zur Tür. Gemurmel in der Diele. Dann erschien er wieder im Türrahmen, begleitet von einem jungen, gut aussehenden Mann in schwarzer Soutane. »Darf ich vorstellen? Kaplan Wagenbach vom ... vom ... in wessen Auftrag sind Sie eigentlich hier?«
Der Kaplan räusperte sich. »Generalvikariat. Ich unterstehe direkt seiner Eminenz, dem Erzbischof. Und ... und weshalb ich komme, dürften Sie ja auch wissen.«
Er setzte sich Conny gegenüber, nicht ohne einen kurzen Blick auf ihre langen, stiefelbewehrten Beine zu werfen.
»Das ist Frank Hellinger, der die ... äh ... Dinge gefunden hat, und die hübsche junge Dame hier mit den endlos langen Beinen ist Conny Baumeister, seine Freundin.«
Dem pensionierten Lehrer war der interessierte Blick des Kaplans nicht entgangen. Der junge Kaplan stand auf und gab beiden die Hand. Er lächelte freundlich. Doch Sekunden später war das Lächeln verschwunden. »Wo sind die Rollen?«
Verlegen blickte Hellinger auf den Weihnachtsbaum, Conny interessierte sich für ihren Rock und zupfte imaginäre Staubflockenzurecht. Wiegand ergriff das Wort. »Ich will offen mit Ihnen sprechen, Monsignore.«
»Oh, zu viel der Ehre. Kaplan, nennen Sie mich einfach Kaplan.«
Wiegand nickte. »Also, Herr Kaplan, erlauben Sie, dass ich für die hier versammelte Gemeinde spreche.«
Der Kaplan setzte ein dünnes Lächeln auf.
»Es handelt sich insgesamt um acht Rollen. Zwei wurden so beschädigt, dass man sie als verloren bezeichnen muss, wie Sie schon wissen.«
Der Kaplan verzog schmerzhaft sein Gesicht, als habe er auf eine Nuss gebissen.
»Zwei weitere wurden uns gestohlen. Ich wurde Opfer eines Überfalls im eigenen Haus.« Dabei fuhr Wiegands Hand über seine Wangen, an denen gleichwohl keine Spuren mehr zu erkennen waren.
»Dürfen wir Ihnen vielleicht ein Glas Wein anbieten oder ein Bier? Ein Wasser vielleicht?« Conny war sichtlich um eine Auflockerung des Gespräches bemüht. Der Kaplan entschied sich für ein Wasser und lehnte sich interessiert nach vorne.
»Ein Überfall?«
»Ja, ich wurde niedergeschlagen und beide Rollen wurden entwendet. Keine Ahnung, von wem.«
»Was sagt die Polizei dazu?«, wollte der Kaplan wissen. Seine feinen Hände hielten das Wasserglas wie einen Messpokal.
»Die ... äh ... Polizei. Nun, ich ... habe keine Anzeige erstattet.«
»Keine Anzeige? Das ist ungewöhnlich. Sie wurden im eigenen Haus überfallen. Sollte man nicht meinen, dass dies ein Fall für die Polizei ist?«
»Was könnte mir das nützen? Nun, jedenfalls gibt es vier weitere Rollen, die wir vorgestern aus der Krypta von St. Pantaleon geborgen haben.«
Ruckartig stellte der Geistliche das Glas ab. Seine Finger verkrampften sich um die Sessellehne. »Vier weitere? Aus ... aus St. Pantaleon? Und wo befinden sie sich?«
»Bei mir. In sicherem Gewahrsam. Man wollte sie mir bereits stehlen«, rief Conny fröhlich.
Sie legte die Beine kunstgerecht übereinander. Doch die erhoffte Wirkung blieb aus. Der Kaplan stand offenbar kurz vor dem Zusammenbruch.Er lockerte den weißen Kragen und schnappte nach Luft. Diesen Augenblick der Schwäche nutzte Conny aus, um das Wasserglas zu füllen. Dankbar griff Wagenbach nach
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