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Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)

Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Pilatus-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf D. Sabel
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energisch zu strampeln und schüttelte wie wild den Kopf. Sie war in eine Falle getappt, jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Irgendwie gelang es ihr, mit dem freien Ellenbogen nach hinten auszuholen, so hatte sie es in einem Selbstverteidigungskurs für Frauen an der VHS gelernt. Ein schmerzhafter Laut verriet ihr, dass sie mit dem Ellenbogen das Gesicht des Unbekannten getroffen hatte. Im gleichen Augenblick spürte sie einen derben Schlag ins Genick, ein ungekannter Schmerz raste in Wellen durch ihren Kopf, dann umfing sie völlige Schwärze.
    Der Mann ließ sie behutsam zu Boden gleiten und sah sein Opfer an. Etwas wie Mitleid überkam ihn, er hatte sie nicht verletzen wollen, aber er musste seinen Auftrag zu Ende bringen. Ruhig schaute er sich um. In der Diele stand ein kleiner Schrank mit drei Schubladen. Er riss die erste auf. Schals, Handschuhe, Mützen, Taschentücher in allen Farben und Mustern. In aller Seelenruhe, die den Profi verriet, griff er nach dem ersten Schal, rot-blau mit Norwegermuster, lang genug, um ihn um die Hände des Mädchens zu wickeln. Ein zweiter aus blauer Wolle diente zur Fesselung der Beine, fest, doch nicht zu stramm. Dann stopfte er ein kleines weißes Ziertuch in den Mund des Mädchens, aber so leicht, dass die Atmung nicht übermäßig behindert wurde. Wenn dem Mädchen etwas passieren würde, würde Eminenza ihm das nie verzeihen.
    Wohin hatte sie nur gewollt, als sie die Wohnung betreten hatte? Einen Augenblick verharrte der Mönch unschlüssig. War es nicht der Raum zur Linken gewesen? Der Mann öffnete behutsam dieTür. Ein Schlafzimmer. Die übliche kleinbürgerliche Einrichtung, ein Doppelbett mit Nachttisch, ein großer Schrank, alles im weißen Schleiflack der Fünfzigerjahre, eine Kommode, in der Ecke ein Wäschekorb. Sein Blick fiel auf den viertürigen Schrank. Die absolute Mehrheit der Bevölkerung würde etwaige Schätze im Schrank verstecken, wahrscheinlich zwischen Handtüchern und Bettlaken.
    Schon nach kurzem Suchen war er fündig geworden. Eingepackt in die Tüte einer bekannten Diskounterkette fand er sie, zwei Lederbehälter. Sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Gleichzeitig meldete ein Geräusch aus der Diele, dass die junge Dame wieder zum Leben erwachte. Boris hatte keine Ahnung, ob noch mehr Rollen hier irgendwo versteckt sein könnten. Aber er entschied, dass dieser Erfolg vorerst reichen musste. Die junge Dame würde ihm kaum die anderen Verstecke nennen, jedenfalls nicht ohne Gewalt. Und die wollte er nicht anwenden, beim heiligen Antonius, das würde er nie tun. Er beugte sich über die junge Frau, die ihn mit schreckgeweiteten Augen ansah, und lockerte den Knebel.
    »Nicht schreien, ja? Nicht Angst, tue nichts. Aber nicht Polizei! Gleich selber befreien.«
    Zufrieden bemerkte er, dass die junge Frau ihm zunickte. Er nahm die Tüte unter den Arm und verließ die Wohnung, ohne die Tür zu schließen.
    Das Treppenhaus schien leer, rasch eilte er die Stufen hinunter. Im ersten Stock aber schleppte sich ihm mühsam eine ältere Frau entgegen, die zunächst mit Verwunderung auf den unbekannten Mann blickte. Aber dann zog ein verklärtes Lächeln über ihr ältliches Gesicht.
    »Guten Tag, Hochwürden, kann ich Ihnen helfen? Suchen Sie jemanden?«
    In Gesprächen mit jedweder Persönlichkeit des Klerus gelang es Frau Emmerich doch immer wieder, sich in feinstem Hochdeutsch zu artikulieren. Sie war eine eifrige Kirchgängerin, voll frommen Respekts vor jeder Form der Geistlichkeit, und jeder, der ihr in irgendeinem geistlichen Ornat begegnete, wurde zumindest mit »Hochwürden« angesprochen. Selbst den Küster von St. Pantaleon bedachte siean guten Tagen mit dem Titel »Monsignore«, und überhaupt schmiss sie mit beeindruckenden Begriffen wie »Prälat« oder »Dechant« für alle Formen der hohen Geistlichkeit gerne um sich, ohne die Bedeutung dieser Titel auch nur im Entferntesten zu kennen.
    Was war das doch ein Fest für sie gewesen, als zum Weltjugendtag im Kloster von St. Pantaleon Tausende junger Seminaristen in ihren feschen Soutanen untergebracht waren! Sie hatte keinen Gottesdienst, keine Andacht ausgelassen und jeden Seminaristen, der das Unglück hatte, ihr zu begegnen, mit ihren monströsen Anreden in Verlegenheit gebracht. Und doch erntete sie für ihre schrulligen Anreden stets nur freundliche Blicke.
    Aber dieser hier war anders! Denn »Hochwürden« murmelte nur ein paar undeutliche Worte und stürmte an ihr vorbei, fast

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