Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)
mit dem Müllbeutel. Siebzig Jahre und nach einer wenig gelungenen Hüftoperation gehbehindert, aber immer ein Lächeln auf den Lippen, das Herz des Hauses.
»Ich bin zufrieden, Frau Emmerich. Und bei Ihnen?«
»Ach, Liebchen ...« (In Köln sprechen ältere Damen junge Mädchen gewohnheitsmäßig so an, während ältere Männer gerne als »junger Mann« bezeichnet werden.) »Sie wissen schon, die Hüfte. Aber nachher holt mich dä Christoph nach Hause. Weihnachten mit den Enkeln ist doch wat Schönes. Hoffentlich tun sie sich nur nit wieder streiten. Ein schönes Weihnachtsfest, Frau Baumeister.«
Conny wünschte ihr das Gleiche und beobachtete, wie die alte Frau mühsam die Treppe herunterhumpelte. Dann stand sie vor der Tür und schob den Schlüssel herein. Unten fiel die Tür ins Schloss. Sie stutzte. Sie musste wohl gestern vergessen haben abzuschließen, denn das Schloss ließ sich ohne Umdrehung öffnen. Ein muffiger Geruch empfing sie. Ich muss unbedingt wieder lüften, dachte sie. Es war dunkel in der Wohnung, denn die Gardinen waren noch geschlossen. Zu fluchtartig war sie nach dem gestrigen Vorfall aufgebrochen. Sie knipste das Licht in der Diele an und wandte sich zum Schlafzimmer. Aber irgendetwas ...
Sie hob ihr Gesicht schnuppernd in die Höhe, wie es ein Hund tut, der Witterung aufnimmt. Irgendetwas stimmte nicht, kam ihr merkwürdig vor. Knoblauch? Rum? Wie kamen diese Gerüche hierhin?
Frau Diederichs hasste Knoblauch, und Rum hätte sie nie in ihrem Leben angefasst. Schnell die Rollen holen, erst ins Schlafzimmer ...
Und genau in diesem Augenblick wurde es ihr bewusst. Ihre winzigen rötlichen Nackenhaare sträubten sich, ihr Herz begann zu rasen, schlug bis zum Hals, während eine Eiseskälte langsam an ihren Beinen heraufkroch. Sie spürte es ganz genau: Sie war nicht allein in der Wohnung!
***
Eine Hand klopfte energisch gegen das Fenster der Beifahrertür.
»Sie können hier nicht parken, junger Mann! Absolutes Halteverbot!«, rief eine resolute Stimme und riss Hellinger aus seinen Träumen. Der brauchte einen Augenblick, um zu sich zu kommen.
»Wie ... äh ... ja. Was?«
»Sie müssen Ihr Fahrzeug wegfahren, sonst muss ich eine Verwarnung ausstellen.«
Hellinger blickte die rundliche Politesse mit dem altmodischen Lockenkopf ungläubig an. Mit einem Mal wurde ihm die Situation klar. Conny! Sicher war sie oben in der Wohnung. Und er war eingeschlafen! Zum Teufel, was war er nur für ein A...
»Was ist nun, junger Mann?«
Die Politesse war augenfällig um einen freundlichen Ton bemüht, aber Hellinger konnte ihr nicht helfen. Wie ein Blick auf das Zündschloss zeigte, hatte Conny die Schlüssel mitgenommen. Er kurbelte eilig das Fenster herunter und setzte sein charmantestes Lächeln auf. Das hatte ihm früher so oft geholfen.
»Das Problem ... das ... ist folgendes. Ich hab was getrunken und meine Freundin ... nun, die hat den Schlüssel, weil ich ja nicht fahren kann, und ... und ist oben. Sie kommt in zehn Sekunden zurück.«
Dabei blickte er die städtische Angestellte mit einem verführerischen Lächeln an.
»Außerdem ist doch heute Weihnachten, oder?«
Die Politesse lächelte zurück, der Charme hatte noch seine Wirkung.
»Gut, junger Mann, ich mache noch eine Runde, und wenn ich zurückkomme, sind Sie weg. Alles klar?«
Hellinger nickte. »Alles klar! Und ein frohes Weihnachtsfest wünsche ich Ihnen, schöne Frau!«
Ein solches Kompliment hatte die Dame, die längst jenseits der fünfzig war, schon seit Jahren nicht mehr gehört, wenn man es ihr überhaupt jemals gemacht hatte. Und wenn man deshalb auch den Wahrheitsgehalt dieser Aussage getrost bezweifeln konnte, hinterließ sie dennoch oder gerade deshalb ihre Wirkung.
»Ihnen auch, junger Mann!«, flötete sie geradezu glücklich zurück und machte Anstalten, ihren Weg fortzusetzen ...
***
Connys erste Reaktion war, zur Tür zu stürmen und die Wohnung fluchtartig zu verlassen. Aber dazu kam sie nicht. Eine kräftige Hand legte sich auf ihren Mund, während ein Arm sich um ihren Oberkörper legte.
»Kein Ton jetzt machen«, flüsterte ihr eine fremdländische Stimme ins Ohr. Sie nahm den Geruch von Tee und Rum wahr, vermischt mit einer kräftigen Portion Knoblauch. Geruch und Atemnot verursachten in ihr einen Würgereiz. Der Unbekannte, der das merkte, lockerte seine Hand unmerklich.
»Wo sind Rollen?«, wollte die fremde Stimme wissen und verstärkte den Druck auf den Oberkörper. Conny Baumeister begann
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