Die Pilgergraefin
nicht mehr, denn in Zukunft wirst du wieder im Schutz deiner Pilgergruppe …“
„Oh“, unterbrach Leonor ihn, „verzeiht, Chevalier. Ich war so überrascht, meine Pilgergruppe wiedergetroffen zu haben, dass ich ganz vergaß, Euch mit dem Pater und den anderen bekannt zu machen. Dies ist …“, wandte sie sich an den Pilgerführer, „… der Chevalier de Trouville, dem ich mein Leben zu verdanken habe.“
Robyn, der die Reaktion des Paters auf Leonors Erscheinungsbild bemerkt und dem sie nicht besonders gefallen hatte, deutete nur eine knappe Verbeugung an. „Ich nehme an, Pater, Ihr werdet Démoiselle Leonor unter Eure Fittiche nehmen und sie sicher in ihre Heimat zurückbringen, so dies ihr Wille ist.“ Gespannt wartete er darauf, ob Leonor protestieren und den Wunsch äußern würde, bei ihm zu bleiben. Doch als nichts dergleichen geschah, nickte er kurz, obgleich eine Woge der Enttäuschung ihn überrollte, und wandte sich an Leonor.
„Dann ist jetzt wohl die Stunde des Abschieds gekommen.“ Er suchte ihren Blick, doch sie hatte die Augen niedergeschlagen. „Selbstverständlich kannst du, Leon – könnt Ihr, Leonor –, das Pferd behalten. Und auch der Hund wird gewiss lieber Euch begleiten als mich“, setzte er bitter hinzu.
Leonor war wie gelähmt. Kein Wort wollte über ihre Lippen kommen, und eine tiefe Leere breitete sich in ihr aus. Den Kopf gesenkt, stand sie vor Pater Anselm, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Ein einziges Wort nur war zu ihr vorgedrungen: Abschied. Kühl, so schien ihr, hatte Robyn es ausgesprochen, ganz der Chevalier, der seinen Knappen aus seinen Diensten entließ.
„Kommt mit zu den Pferden und zu Tarras, und anschließend könnt Ihr Euch dann Euren Pilgerfreunden anschließen.“
Nachdem Pater Anselm ihr versichert hatte, auf sie zu warten, folgte Leonor dem Chevalier unglücklich zu den Reittieren.
Tarras, der seine Aufgabe gut erledigt und die Straßenjungen nicht aus den Augen gelassen hatte, begrüßte sie freudig.
Robyn band den Wallach los und überreichte Leonor die Zügel.
Zaghaft ergriff sie sie, noch immer nicht in der Lage, ein Wort hervorzubringen. Mit großen Augen starrte sie den Chevalier an. Sie räusperte sich, um ihm mitzuteilen, dass sie … dass sie … aber die Kehle war ihr immer noch wie zugeschnürt. Unwillig darüber schüttelte sie den Kopf.
Robyn glaubte, dass sie ihm mit dieser Geste mitteilen wollte, dass sie an einer Weiterreise mit ihm nicht interessiert war. „So lebt denn wohl, Leonor“, zwang er sich zu sagen. „Ihr seid eine bemerkenswerte Frau. Möge Gott Euch schützen.“ Die Stimme drohte ihm zu brechen.
Leonor hob den Blick und sah dem Chevalier in die Augen – zum letzten Mal? Könnte er in ihnen lesen, wie es um sie stand?
Unwillkürlich führte Robyn ihre Rechte an seine Lippen und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken.
War dies ein Zeichen dafür, dass er sie als Frau sah – als eine Frau, die er begehrte?
Doch schon hatte er sich abgewandt, schwang sich auf seinen Hengst und trabte davon.
„Was ist dir nur in den Sinn gekommen, Eleonore?“, hatte Pater Anselm sie am Abend unter vier Augen in der Pilgerherberge angeherrscht. „Trägst Männerkleidung und reitest bequem auf einem Pferd durch die Lande? Ersteres ist einer Frau nicht gestattet, eine Sünde und ein Frevel. Und Zweiteres geziemt sich nicht für eine bußfertige Wallfahrerin!“ Schwer hatte er sich auf seinen Stock gestützt, den er seit seinem Sturz in den Alpen benötigte, bei dem er sich nicht nur den Arm, sondern auch den Fuß verletzt hatte, wie Leonor inzwischen wusste. So schlimm waren seine Verletzungen, dass er zu seinem Unmut dazu gezwungen gewesen war, den Rest der Wallfahrt auf einem Maultier zurückzulegen, obwohl sich das für einen Wallfahrer nicht geziemte. Verächtlich und strafend hatte der Pater sie angeblickt.
„Aber es ging doch um mein Leben“, hatte Leonor protestiert, indes hatte der Mönch ihren Einwand nicht gelten lassen.
„Unser Leben liegt in Gottes Hand, und wenn es dem Herrn gefällt, uns aus dem irdischen Jammertal abzuberufen und in seine himmlischen Gefilde zu führen, so geschehe sein Wille. Auch dann, wenn wir nicht ins Paradies, sondern ins Fegefeuer oder gar in die Hölle kommen.“
Leonor hatte erneut einen Widerspruch gewagt, den der Pater jedoch wiederum abgeschmettert hatte. Ja, er hatte sogar angedeutet, dass ihre ganze Pilgerfahrt umsonst gewesen sein könnte. Seine anmaßende
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