Die Pilgergraefin
bezüglich deren Vermählung mit Gisbert zu treffen.
Heimlich packte Anselm das Nötigste und verließ zu Fuß die Burg, denn es dünkte ihm nicht angemessen für einen Mörder, hoch zu Ross davonzureiten. Dankbar war er nur, dass seine Mutter diesen schrecklichen Tag nicht mehr hatte erleben müssen.
Lange war er ziellos umhergeirrt, nicht wissend, wie er mit seiner Schuld weiterleben sollte. Einmal sogar, als er unter einer riesigen Eiche saß, hatte er zu den starken Ästen emporgeblickt und erwogen, sich zu erhängen. Vielleicht hätte er es sogar getan, doch da er kein Seil mit sich führte, konnte er sein Vorhaben nicht in die Tat umsetzen.
Irgendwann bat er in einem Kloster um Obdach und ließ sich von dem Abt die Beichte abnehmen. Danach fühlte er sich ein wenig erleichtert. Doch die Schuldgefühle plagten ihn weiter, und als der Klostervorsteher ihm vorschlug, zu bleiben, nach reichlicher Gewissensprüfung dem Orden beizutreten und durch ein gottgefälliges Leben seine Schuld zu sühnen, hatte er zugestimmt, denn es schien ihm der einzige Weg, Wiedergutmachung für seine schreckliche Tat zu leisten. Wie in der biblischen Geschichte von Kain und Abel hatte er seinen Bruder umgebracht und konnte nur hoffen, die Vergebung des Herrn zu finden, indem er für den Rest seines Lebens Buße tat.
Zwei Jahre später – er hatte inzwischen die ewigen Gelübde abgelegt – traf eine Pilgergruppe auf dem Weg nach Santiago de Compostela ein, und Anselm bat den Abt, sich ihr anschließen zu dürfen, was dieser ihm gewährte. Und so war er, damals noch ein junger Mann voller Kraft, dem das Klosterleben zwar gefiel, der sich jedoch nach einem abwechslungsreicheren Leben sehnte, zu seiner ersten Wallfahrt aufgebrochen. Er hoffte, unterwegs ein wenig von seinen immer noch nagenden Schuldgefühlen und der Sehnsucht nach der schönen Adelheid abgelenkt zu werden. Die abenteuerliche Reise ins ferne Spanien hatte ihm so gut gefallen, dass er beschloss, dem doch recht eintönigen Alltag im Konvent zu entfliehen und selbst Pilgerführer zu werden.
Verständnisvoll hatte der Klostervorsteher ihm die Erlaubnis erteilt und ihn ermahnt, sich nicht allzu sehr zu quälen, weil er den Tod des Bruders verschuldet hatte. Immerhin habe er ihn ja nicht absichtlich umgebracht. Doch Absicht oder nicht, seinetwegen war der Bruder nicht mehr am Leben. Wie oft hatte er sich in all den vergangenen Jahren die Frage gestellt, ob er Gisbert im Verlauf des Kampfes wohl auch willentlich hätte umbringen können, und nie eine Antwort darauf gefunden. Ein Umstand, der ihn bis heute marterte.
Nach seiner ersten Wallfahrt hatte er viele büßende und Gott suchende Menschen an die heiligen Stätten geleitet. Doch nun, da er hier in Rom von Schmerzen geplagt auf seinem Strohsack lag, fühlte er sich alt und ausgelaugt. Er hatte mehr denn fünfzig Sommer und Winter gehen sehen und war weit in der Welt herumgekommen, hatte Schönes und Schreckliches erlebt. Gern wäre er auch ins Heilige Land gepilgert, an die Stätten, wo der Herr Jesus gewandelt war und gepredigt hatte, doch es hatte sich nicht ergeben. Dies war wohl seine letzte Pilgerreise. Nach der Rückkehr, so er denn die Strapazen des langen Weges in die Heimat überstehen würde, würde er sich in sein altes Kloster begeben und dort in Andacht und Gebet darauf hoffen, dass der Herr ihm seine Tat vergeben hatte und ihn zu sich in sein himmlisches Reich rief.
Seufzend drehte er sich zur Seite, da erschien plötzlich das Bild Eleonores von Eschenbronn vor seinem geistigen Auge. Welch eine seltsame Fügung, dass sie zeitgleich mit ihm und seiner Pilgergruppe in Rom eingetroffen war!
Und erneut überfielen ihn Schuldgefühle. Er hatte sich heute der jungen Frau gegenüber sehr harsch und unchristlich verhalten, wie es doch sonst so gar nicht seine Art war. Aber ihr überraschender Anblick – gewandet in Männerkleidung und in Begleitung eines stattlichen Ritters – hatte ihn überrumpelt. Nie hätte er gedacht, sie nach der plötzlichen Trennung in den Alpen noch einmal wiederzusehen. Natürlich hatte er sich, aus dem Delirium nach seinem Sturz erwacht, viele Gedanken um sie und ihre Kammerfrau gemacht, doch in Anbetracht der Tatsache, dass bereits etliche Tage verstrichen waren, angenommen, dass es sinnlos war, noch nach den beiden zu suchen. Trotzdem hatte er die Mitglieder der Pilgergruppe gescholten, dass sie sich nicht auf die Suche nach den Verschollenen gemacht hatten, indes auch
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