Die Pilgergraefin
überlassen, Joséphine?“
Die Wirtin rang die Hände. „Einerseits würde ich Euch sehr gern zu Diensten sein, Sieur. Andererseits weiß ich nicht, wie lange ich diesen Gasthof noch führen kann. Denn, wie Ihr wisst, ist mein lieber Mann …“
„Ich weiß gar nichts, gute Frau, aber gewiss wirst du mir nun berichten, was deinem Eheherrn widerfahren ist.“
Tränen sammelten sich in den braunen Augen Joséphines. Sie blinzelte sie weg, sammelte sich und begann zu berichten: „Fast genau ein Jahr ist es nun her, da kamen die Wachen und schleppten meinen Pierre aus dem Haus. Seitdem schmachtet er im Kerker.“ Sie rang die Hände.
„Wahrscheinlich hat er einem Gast eine solche Suppe serviert, wie du sie mir heute auf den Tisch gebracht hast, und somit verdient er sein Los durchaus“, spottete Robyn gutmütig, rief jedoch durch seine Worte einen wahren Tränenstrom hervor.
Als dieser endlich versiegte, stammelte Joséphine: „Oh nein, Chevalier. Vor einem Jahr haben wir noch die köstlichen Speisen serviert, die Ihr von Euren vorherigen Besuchen kennt.“ Sie tupfte sich die tränenden Augen mit einem Schürzenzipfel trocken.
„Und was war es dann, das deinen Mann in den Kerker gebracht hat? Gewiss hat er sich nicht der Häresie schuldig gemacht.“
„Häre…sie? Ihr meint Ketzerei? Nicht direkt, aber gewissermaßen kann man es so nennen“, schluchzte Joséphine. „Eines Abends hat er sich gegenüber Yves, dem Besitzer des ‚Cheval Bleu‘, den er als seinen Freund betrachtete, despektierlich über den Lebenswandel der geistlichen Herren am päpstlichen Hof geäußert.“ Sie senkte die Stimme, obwohl sonst niemand im Gastraum weilte. „Ihr wisst, man munkelt von Hurerei, Sodomie und auch von Nepo…Nepo…“
„Nepotismus“, ergänzte Robyn. „Vetternwirtschaft, weil der Papst viele seiner Anverwandten in hohe geistliche Ämter erhoben, ja sie gar zu Kardinälen gemacht hat.“
Joséphine nickte bedrückt. „Wie konnte mein Pierre denn wissen, dass Yves sogleich zum Magistrat laufen und ihn ob seiner Worte zur Anzeige bringen würde?“
„Sehr klug war es nicht von deinem Mann, solche Dinge laut auszusprechen. Wahrscheinlich hat dieser Yves ein Auge auf eure Wirtschaft geworfen und will sie nun, da sie so heruntergekommen ist, günstig erwerben.“
Offenen Mundes starrte Joséphine den Ritter an. In der Tat, der Chevalier war ein kluger Kopf und sogleich auf die wahre Ursache für die Anzeige gekommen.
„Ja, dieser Gedanke ist mir auch schon durch den Kopf geschossen“, sagte sie leise. „Doch seit mein Pierre im Kerker schmachtet, trauen sich kaum mehr Gäste hierher, aus Angst, man könnte sie ebenfalls inhaftieren, weil sie die Meinung meines Mannes teilen. Vielleicht denken sie aber auch, dass ich die Wirtschaft als Frau nicht allein weiterführen kann. Womit sie teilweise recht haben, denn die Arbeit ist mir über den Kopf gewachsen, und die Diener haben sich entweder davongemacht, weil sie keinen Lohn erhielten, oder zollen meinen Anweisungen keinen Respekt.“
Robyn trank einen Schluck des sauren Bieres und verzog erneut angewidert das Gesicht.
„Hast du denn gar keinen anderen Tropfen mehr im Keller? Dieses Gebräu ist ja ungenießbar. Da ziehe ich einen Schluck Brunnenwasser vor.“
Sogleich rief Joséphine: „Gern bringe ich Euch einen Krug Wasser. Etwas anderes habe ich nicht, denn ich musste die Weinfässer verkaufen, um überleben zu können.“
Derweil die Wirtin davoneilte, um das Wasser zu holen, grübelte Robyn, ob er der Frau irgendwie helfen konnte. Er nahm sich vor, Monsignore Petrocelli, einen sehr einflussreichen Mann am Papsthof, darauf anzusprechen, sofern die Gelegenheit günstig und der Prälat in gnädiger Stimmung war.
Robyn glaubte zwar an Gott, hieß die irdischen Intrigen um Macht und Gold der geistlichen und weltlichen Herren aber keineswegs für gut. Und so hatte er es im Laufe der Zeit für überlebenswichtig erachtet, seine eigene Meinung und Intelligenz lieber hinter der Maske des Kuriers des Königs zu verbergen, der getreulich und zuverlässig Botschaften überbrachte – und war damit stets gut gefahren.
Nur langsam tauchte Leonor wieder aus den Tiefen der Finsternis, in die sie gesunken war, empor. Auf ihrem Rücken spürte sie eine Last, und ihr Gesicht fühlte sich feucht an. War sie in einen Bach gefallen? Vorsichtig versuchte sie sich aufzurichten, die Augen immer noch geschlossen, denn es graute ihr davor, sie zu öffnen.
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