Die Pilgergraefin
hatte sie nur getan, und wie sollte sie mit diesem Wissen nur weiterleben?
Am liebsten wäre sie nie wieder aufgestanden und hätte neben Anna auf den Tod gewartet.
Doch wiederum rissen ein Stupsen und die feuchte Schnauze des Hundes sie aus ihrer Erstarrung und Verzweiflung.
Allerdings nur, um vor Entsetzen laut aufzuschreien. Denn nun begriff sie, dass sie sich mutterseelenallein in einem unwirtlichen Gebirge befand, fernab von menschlicher Hilfe, ohne Nahrung, mit einem Hund als einzigem Begleiter, dem selbst schon die Rippen durchs Fell stachen. Dazu noch neben sich der entseelte Leib ihrer lieben Anna und vor sich eine schier unüberwindliche Strecke bis nach Rom, wo sie hoffte, ihre Schuld büßen zu können, die nunmehr auch noch Annas Tod mit einschloss.
Zur anberaumten Stunde fand Robyn sich in der Papstburg ein, legitimierte sich bei den Wachen und wurde tatsächlich umgehend zu Monsignore Petrocelli vorgelassen. Dies war nicht unbedingt üblich, denn in der Vergangenheit hatte er schon öfter die Erfahrung machen müssen, dass er ein ums andere Mal vertröstet worden war, obwohl er die Dringlichkeit seiner Mission und der Sendschreiben, die er zu überbringen hatte, aufs Heftigste betont hatte. Denn die Untergebenen seiner Adressaten nahmen sich oft selbst viel zu wichtig und bestellten ihn deshalb wieder und wieder ein, nur um ihn dann unverrichteter Dinge fortschicken zu können.
Heute indes geleitete Pater Ignatio ihn geradewegs in das Empfangszimmer des Privatsekretärs Seiner Heiligkeit, und Robyn staunte ob der Pracht, die sich in diesem Raum entfaltete. Wertvolle Gobelins schmückten die Wände, und hinter einem großen, reich geschnitzten Tisch thronte der Monsignore auf einem mit Kissen gepolsterten Lehnstuhl. Dicke Folianten lagen vor ihm auf der Schreibplatte. Kerzen in einem aufwendig gearbeiteten Bronzeleuchter spendeten Licht, denn die schweren goldbestickten Stoffbahnen aus Samt vor den Fenstern waren zugezogen, obwohl es helllichter Tag war. Wenn schon ein Monsignore in solcher Üppigkeit residierte, wie mochte es dann in den Räumen des Heiligen Vaters aussehen?
Robyn verneigte sich, wie es die Höflichkeit gebot, und Monsignore Petrocelli winkte ihn herbei und bedeutete ihm, auf einem schlichten Stuhl vor dem Tisch Platz zu nehmen.
„Chevalier, Ihr kommt als Gesandter des Königs von Frankreich“, eröffnete er das Gespräch.
Robyn nickte und öffnete seine Ledertasche, um ihr das Sendschreiben Charles’ V. zu entnehmen, dessentwegen er den weiten Ritt von Paris nach Avignon gemacht hatte. Es trug das Siegel des Königs, und Robyn kannte seinen Inhalt nicht. Worüber er äußerst froh war. Denn so konnte er auch nichts verraten, sofern er gefangen genommen und möglicherweise sogar der Tortur unterzogen wurde.
Er überreichte die Pergamentrolle, und der Privatsekretär des Papstes brach das Siegel. Eine Weile studierte er das Schreiben, dann hob er den Kopf.
„Habt Ihr noch eine weitere Botschaft, Chevalier? Vielleicht Neuigkeiten vom Kardinal?“
Das war sein Stichwort, und sogleich zitierte Robyn in fehlerfreiem Latein die Worte, die der Kardinalprimas ihm mit auf den Weg gegeben hatte. Der Monsignore nickte und schien über die Botschaft nachzudenken.
Wie so viele andere Christen wünschte sich auch Robyn, obwohl er im Dienste des Königs von Frankreich stand, ein Ende des päpstlichen Exils in Avignon und die Rückkehr des Stellvertreters Christi nach Rom. Die Winkelzüge der Prälaten und Diplomaten indes berührten ihn nicht. Er war kein Politiker, sondern der Kurier des Königs, ein Mann der Tat. Durchaus mit Witz und Verstand gesegnet, hielt er jedoch nur wenig von der Doppelzüngigkeit und der Käuflichkeit der hohen Herren, die ihm ihre Geheimbotschaften anvertrauten. Sein Ziel war es vielmehr, als Dank für seine Dienste einst von Charles V. mit einer eigenen Burg und Ländereien belehnt zu werden. Denn die Tätigkeit eines königlichen Kuriers war zwar eine interessante und abenteuerliche, aber nur solange man in der Blüte seiner Jahre stand, danach …
Alsdann könnte er sich mit einer schönen Maid aus einem verbündeten Adelsgeschlecht vermählen, sich von den Strapazen seiner langen abenteuerlichen Reisen erholen, die ihn bis ins Morgenland geführt hatten und nach England, jenseits des Ärmelkanals. Mit Schaudern dachte er an jene Reise, auf der er beinahe sein Leben verloren hätte, als ein gewaltiger Sturm aufzog und das Schiff um Haaresbreite an den
Weitere Kostenlose Bücher