Die Pilgerin von Montserrat
kühle Nass in die hohle Hand zu schöpfen und zu trinken, sich hineinzustürzen und den Staub, den Sand, den Schweiß und die Hoffnungslosigkeit abzuwaschen. Doch je mehr sie sich dem See näherte, desto weiter wich er zurück. Sie stieg ab, stand einen Augenblick, sank in den heißen Sand und begann zu weinen. Da war doch etwas. Eine Stimme, die sie rief. Kam es von vorne oder aus ihrem Rücken? Teresa kniff dieAugen zusammen. Auf einem Felsen, der aus dem gelben Untergrund hervorragte, saß ein Junge und spielte auf einem Kamm. Er blickte hoch und lachte sie an. Die blonden Haare fielen ihm in die Stirn. Die Melodie ergriff Teresa zutiefst.
»Matthias!«, rief sie, breitete ihre Arme aus und eilte auf ihn zu. Sein Lächeln wurde immer breiter, sein Gesicht kam immer näher. Er verschwand. Sie sah das Dunkel kommen wie eine Gewitterwand am Horizont. Bald umgab es sie von allen Seiten. Sie fiel und fiel, und das Letzte, was sie spürte, war ein dumpfer Aufprall, ein Schmerz und der heiße Sand, in den sie mit der Stirn einsank.
Lange Zeit spürte sie gar nichts. Dann drang ein Lichtstrahl in ihre Augen.
»Sie ist wach geworden«, sagte eine Stimme über ihr.
Teresa blickte auf. Eine junge Beduinenfrau stand, bis auf die Augen verschleiert, über sie gebeugt, mit einer Kanne in der Hand. Sie setzte das Gefäß an Teresas Lippen, die gierig trank. Was für ein merkwürdiger Geschmack!
»Das ist Kamelmilch«, sagte eine andere Stimme, die sie als die von Markus erkannte.
»Was ist mit mir? Wo bin ich?«, fragte Teresa.
»Du bist schwer krank geworden und dann vom Kamel gestürzt«, antwortete Markus. »Wir haben dich zu einem Beduinendorf gebracht, und die Frauen haben dich gepflegt, bis du über den Berg warst.«
»Wie lange ist das her?«
»Mehr als zwei Wochen. Du bist immer wieder aufgewacht, hast etwas zu dir genommen und bist dann wieder in deine Ohnmacht zurückgesunken.«
Teresa setzte sich kerzengerade im Bett auf. »So lange? So lang habe ich euch aufgehalten? Dann müsste es jetzt schon Anfang Februar sein.«
»Es hat uns allen gutgetan«, sagte Markus. »Wir sind hier in einer Oase, das Leben ist paradiesisch.«
Der Garten des Alten vom Berge fiel ihr ein.
»Was habt ihr beschlossen? Wollt ihr umkehren?«
»Wohin denn umkehren? Wir sind nicht mehr weit vom Berg Alamut entfernt. Du wolltest doch immer einmal den Garten des Alten vom Berge sehen. Wir sind nicht mehr weit entfernt. Und Saloman ist nicht bereit, so kurz vorm Ziel aufzugeben.«
Meine Schuld, einzig und allein meine Schuld, dachte sie.
»Sollen wir nicht über Tripolis zurückfahren in die Heimat? Ich bin es leid, hinter diesem Ding herzujagen.«
»Jetzt beruhig dich erst einmal.« Er reichte ihr die Hand zum Aufstehen. »Du wirst dich noch ein paar Tage erholen und vor allem ordentlich essen. Dann reden wir weiter.«
»Was habe ich für eine Krankheit gehabt?«
»Wir wissen es nicht genau. War es die Auszehrung, eine Lungenentzündung oder einfach der Wüstenwahn?«
»Ich habe den blonden Jungen wieder gesehen. Kurz bevor ich …«
»Das ist ein gutes Zeichen!«, meinte Markus. »Das heißt, er wird dich von jetzt an wieder beschützen.«
»Mich beschützen? Das hätte tödlich enden können.«
»Er hat dich vor dir selbst beschützt, Teresa, indem du umgefallen bist. Sonst wärest du vielleicht wirklich gestorben.«
Teresas Herz begann heftig zu klopfen bei dieser Vorstellung.
»Ich werde in Zukunft besser auf mich aufpassen. Und alles mehr in Ruhe angehen.«
»Ich passe ebenfalls auf dich auf«, sagte er und drückte ihre Hand.
Die nächsten Tage verbrachte Teresa damit, Datteln, Kokosnüsse, Ziegenragout und Hühnersuppen zu essen. Zwischendurch wandelte sie mit Markus oder auch mit Saloman durch ein liebliches Bachtal, das mit Palmen, Zypressen und Aprikosenbäumen bewachsen war. Die Quelle wurde zum Bach und floss in einen runden See, in dem es sich herrlich baden ließ. Die beiden Männer vermieden das Thema Menora, bis Teresa es von sich aus anschnitt.
»Was werden wir nun weiter tun?«, fragte sie Markus und Saloman,als sie miteinander am Ufer des Sees saßen und ihre Beine ins Wasser baumeln ließen.
»Entscheide du darüber«, meinte Markus. »Saloman wird auf jeden Fall nach Alamut gehen.«
»Glaubst du, dass wir die Menora finden werden?«
»Das weiß nur Gott.«
»Oder Jahwe«, fügte Saloman lächelnd hinzu.
»Oder Allah«, ergänzte Teresa. Sie fühlte sich wieder kräftig und ausgeglichen.
Weitere Kostenlose Bücher