Die Pilgerin von Montserrat
Tempelritter bis heute?«
»Aus eben diesem Grunde sind wir auf dem Weg«, gab Saloman zurück.
Teresa sann über diese Worte nach. Um die Wahrheit und unser eigentliches Leben zu finden, darum waren sie unterwegs. War nicht die Liebe wichtiger als der unausrottbare Wunsch, etwas zu finden, um es zu besitzen? Sie sah verstohlen zu Markus hinüber, der sie in diesem Moment ebenfalls anschaute.
»Ich glaube, ich bin am Ziel meines Weges angekommen«, sagte Markus. »Es ist sinnlos, nach der Menora zu suchen. Wir werden sterben, wenn wir nicht endlich damit aufhören. Das schreibt dieser Alte vom Berge doch ganz deutlich.«
»Ich möchte auch umkehren«, pflichtete Teresa ihm bei. »Die Reise ist zu Ende. Ich möchte nach Hause.«
»Euer Wunsch sei mir Befehl«, sagte Saloman trocken. »Wir kehren um, denn wir haben hier nichts mehr verloren.«
Sie liefen, wie vom Teufel gehetzt, aus der Grabkammer hinaus. Als sie bei der Tür ankamen, war sie fest verschlossen und ließ sich weder durch Beschwörungen noch durch den Eisendraht des Gelehrten öffnen.
»Wir sind gefangen«, sagte Saloman in düsterem Ton.
Teresa kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er in Todesfurcht erstarrt war.
31.
Teresa begann zu husten und hatte einen Augenblick lang die Befürchtung, sie müsse ersticken. Entsetzt blickte sie die anderen an.
»Heißt das … dass wir hier nicht mehr herauskommen?«
»Das heißt zunächst einmal noch gar nichts«, beruhigte sie Saloman.
»Wir müssen in die Grabkammer zurück und sehen, ob es von dort einen Ausgang gibt.«
Markus sagte nichts, wahrscheinlich deshalb, weil es nichts zu sagen gab in dieser Lage. Sie legten den Weg bis zu dem Raum mit den Sarkophagen zurück. Aus dem Sarg des Alten vom Berge strömte ein süßlich-staubiger Geruch, der Teresa vorher, im Eifer des Entdeckens, gar nicht aufgefallen war. Sie hielt sich die Nase zu. Saloman wies in eine bestimmte Richtung, dort tat sich ein weiterer Gang in der Wand auf. Saloman ging mit der Fackel voraus. Manchmal drohte sie auszugehen, flackerte jedoch immer wieder von neuem auf.
Schließlich sah Teresa ein schwaches Licht in der Ferne schimmern. Sie erreichten den Ausgang des Tunnels und blieben wie geblendet stehen. Vor ihnen breitete sich ein Plateau aus, das von hohen Mauern umgeben war. Sicher war es von unten, vom Fuß des Berges, nicht auszumachen. In der Mitte stand ein kreisrunder Brunnen, aus dem eine kleine Fontäne hervorschoss. Der Brunnen war von Buchsbaumkugeln umgeben, in strenger geometrischer Reihenfolge angeordnet. Die Wege dazwischen waren mit weißem Sand bestreut, und aus der überquellenden Schale des Brunnens floss das Wasser, in kleinen, mit Steinen gefassten Bächen in alle Winkel eines Gartens. Teresa hatte noch nie eine solche Pracht gesehen, und sie vergaß darüber für einen Augenblick die Lage, in dersie sich befanden. Da wuchsen Dattelpalmen, blühende Kirsch- und Aprikosenbäume, rote Fuchsien, die in der Brise mit den Blütenköpfen nickten, Oleander säumten die Bachläufe, in dunkelgrünen Büschen hingen Orangen und Zitronen. Die Beete waren mit frühen Tulpen, Primeln, weißen Narzissen und Hyazinthen bepflanzt, die einen betörenden Duft verströmten. Unter den Bäumen machten sich Moose und Farne breit, Papageien krächzten, Vögel zwitscherten, und Kolibris schwirrten zwischen den Blumenkelchen hin und her. Die Luft war erfüllt von einem Summen wie von Bienen.
Das war das Paradies – so hatte Teresa es sich immer vorgestellt. Ihre Begleiter standen ebenfalls wie angewurzelt und betrachteten staunend den Garten Eden. Etwas ließ Teresa innehalten. In den Bäumen hingen merkwürdige weiße Pakete, waren in die Astgabeln geklemmt oder mit Stricken an den Stamm gebunden. Das waren … Ein unglaubliches Grauen erfasste sie. Es waren menschliche Gestalten, Tote, die in weiße Bandagen gehüllt, hier aufgebahrt wurden. Sie wollte die anderen gerade darauf aufmerksam machen, als sich aus dem Hintergrund des Gartens eine Gestalt löste, genauso weiß gewandet wie die Toten auf den Bäumen. Es war ein sehr großer, magerer Greis mit langen weißen Haaren und einem ebensolchen Bart. Sein Mantel reichte ihm bis zu den Füßen, die in Sandalen steckten. Er kam näher heran und trat auf die Gruppe zu, die reglos verharrte.
»Willkommen im Paradies, meine Freunde«, sagte er. »Ihr habt den Tunnel des Todes überwunden und seid nun bei mir eingetreten, dem Ort, von dem es keine Wiederkehr
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