Die Pilgerin von Montserrat
Bemerkung«, meinte Saloman, »die uns möglicherweise das Leben retten kann.«
»Wieso?«, fragte Markus.
»Ich setze noch eine Bemerkung dazu«, antwortete Saloman. »Wissen ist Macht!«
»Sprecht schon!«, drängte Teresa.
»Die persischen Gärten sind meist so angelegt, dass sie von Quellen gespeist werden, die tiefer sprudeln als der Garten selbst. Das Wasser wird durch unterirdische Gänge geleitet und mit kleinen Mühlen hochgepumpt. Wir müssen den Punkt finden, an dem der Größte der Bäche den Garten verlässt.«
Teresa und Markus begriffen sofort. Sie folgten zusammen mit Saloman dem Bach, der klar durch Moose und Farne floss. Das Wasser verschwand dreißig Fuß weiter in einem Loch im Felsen. Gurgelnd und schäumend schoss es in den steinernen Abgrund. Da sollten sie hinab?
»Es gibt keine andere Möglichkeit!«, rief Saloman, »wir müssen da rein.«
Wie im Traum sah Teresa sich, wie sie ein paar Orangen und Zitronen zusammenpflückte und in den Taschen ihres Pilgergewandes verstaute. Das Pergament von Friedrich schob sie in eine Schatulle ihres Lederbeutels, steckte auch dort noch ein paar Früchte hinein und stellte sich mit den anderen vor das Loch in der Wand.
»Ich gehe als Erster!«, rief Saloman, steckte seine Beine in die Öffnung, legte sich auf den Rücken und wurde sofort mitgerissen.
»Ich gehe nach dir«, hörte Teresa Markus rufen. Sie presste den Beutel an sich, stieg in den Eingang und wurde von kaltem Wasser umspült. Sie versuchte sich mit ihrer freien Hand am Eingang der Höhlung festzuklammern.
»Ich kann nicht!«, schrie sie. »Ich kann nicht loslassen!«
Sie spürte den Druck seiner Hände, das Loch verschluckte sie; Teresa hörte ein Dröhnen und Brausen, und schon ging es abwärts in rasender, nasser Fahrt. Die Unebenheiten des Felsens schürften ihr Rücken und Gesäß auf. Sie klammerte sich an den Beutel und ließ es geschehen, ergab sich in die Strömung. Sie rutschte, von Wasser umtost und umspült, eine um die andere Stufe hinab. Hinter sich hörte sie das Stöhnen von Markus, von Saloman war nichts mehr zu vernehmen. Weiter vorn ertönte ein Rauschen, das immer lauter wurde. Wenn dieser Bach in einem Wasserfall endete, waren sie verloren! Das Rauschen kam immer näher, wurde ständig stärker. Mit einem Mal war es hell um sie. Sie rutschte über eine Abbruchkante und flog in die Tiefe. Teresa hatte das Gefühl, geradezu in den Himmel hineinzufliegen – oder in die Hölle. Sie schlug im Wasser auf und ging unter. Noch ein Plumpsen, ein Schatten neben ihr: Markus. Teresa sandte ein Stoßgebet hinauf als Dank dafür, dass ihr Vater ihr erlaubt hatte, in der Donau schwimmen zu lernen. Sie sah den Kopf von Saloman, der neben ihr schwamm.
Als Markus prustend wieder auftauchte, bemerkte Teresa, dass sie sich in einer Art Gumpe befanden, einem kleinen, tiefen Teich, der durch den Wasserfall gespeist wurde. Sie schwammen ans Ufer und ließen sich erschöpft auf den Kiesstrand fallen. Die Gumpe war von Bäumen und Büschen umgeben, einer winzigen Oase, die sich in der Nähe des Wassers entwickelt hatte. Wie aus dem Nichts standen plötzlich zwei Kinder vor ihnen, mit geschlitzten Augen und bunten Mützen. Sie schauten sie einen Augenblick lang schweigend an, dann ergriffen sie die Flucht.
»Wir müssen weg«, rief Saloman, »nach Süden, zu unseren Kamelen!« Er füllte rasch seinen Wasserschlauch.
Sie rannten, durchnässt, wie sie waren, in der Abendsonne um den Fuß des Berges herum. Bald merkten sie, dass sie verfolgt wurden. Kriegerisch gewandete Reiter auf kleinen, kräftigen Pferden jagten ihnen nach. Sie versteckten sich und ließen sie an sich vorüberziehen. Erst als es dunkel war, wagten sie den Weiterweg. Teresa fröstelte in der nächtlichen Kälte. Markus legte den Arm umsie und versuchte sie zu wärmen. Ihren Durst stillten sie mit den Orangen und Zitronen, die sie aussaugten. Endlich hatten sie ihre Kamele erreicht, stiegen auf und ritten los. Von ihren Verfolgern war weder etwas zu sehen noch zu hören.
Beim Morgengrauen wagten sie es, eine kurze Rast einzulegen. Teresa war müde bis zum Umfallen, gleichzeitig jedoch hellwach, als hätte etwas eine Saite in ihr zum Klingen gebracht. Sie stellte fest, dass sie sich nicht nach Westen bewegten, sondern nach Norden, in Richtung des Kaspischen Meeres.
4. Buch: Die Rückkehr
32.
Am Abend desselben Tages erreichten sie einen kleinen Hafen am Kaspischen Meer. Die Sonne war schon hinter den Höhen des
Weitere Kostenlose Bücher