Die Pilgerin von Montserrat
schwach. Sein Gesicht näherte sich ihrem. Jemand räusperte sich. Teresa fuhr herum. Ein Priester in einer schwarzen Soutane ging kopfschüttelnd vorbei.
»Glaub an mich, Teresa«, sagte Markus leise und ließ ihre Arme los. »Ich bin hier, um dich zu beschützen.«
Sie begleitete ihn zum Badehaus und schlenderte durch die nachmittägliche Stadt zurück zur Herberge. Die Menschen gingen ihren Geschäften nach. Durch die Gassen, die schon im Schatten lagen, fuhr eine leichte Brise. Teresa fröstelte. Vor der Herberge saß ihr Vater und las in einem Buch.
»Du wirst dich erkälten!«, rief er ihr entgegen. »Hol deinen Mantel.« Ob ihm vielleicht der tiefe Ausschnitt des Kleides missfiel?
»Ich hole ihn gleich, Vater. Was hat denn der Bischof gesagt?«
»Er meint, die Weiterreise durch das Frankenland sei nicht so gefährlich wie die durch das der Eidgenossen. Ich denke, wir können morgen aufbrechen.«
Schade, dann standen sie wieder unter Aufsicht. Vielleicht ergab sich später noch eine Gelegenheit, mit Markus unter vier Augen zu sprechen. So ganz traute sie ihm noch nicht. Aber mit ihrem Vater wollte sie auch nicht darüber sprechen.
»Willst du nicht ins Badehaus, Vater? Es tut gut, den ganzen Schmutz herunterzuwaschen.«
»Ich habe mich gewaschen und meine Kleider in eine Wäscherei gegeben, sie sind morgen fertig. Aber jetzt geh und hol deinen Mantel!«
Markus kehrte frisch gebadet und gekleidet zurück. Nach dem Abendessen saßen sie noch in der Pilgerstube zusammen. Als gutbetuchte Gäste hatten sie weißes Brot und besseren Wein bekommen als die anderen Pilger.
»Durch welche Städte und Landschaften wird uns der Weg noch bringen?«, fragte Teresa, an die beiden Männer gewandt.
Der Herbergswirt hatte die Worte aufgeschnappt und meinte: »Der Hauptpilgerweg führt durch das Rhonetal und hinüber nach Toulouse, dann über Ronces Valles durch die Pyrenäen nach Santiago. Ihr könnt aber auch den Weg über Grenoble und den Mont Ventoux nehmen.«
»Ah, der Mont Ventoux!« Frobens Augen blitzten auf. »Francesco Petrarca war der erste Mensch, der auf den Mont Ventoux, der überhaupt auf einen Berggipfel gestiegen ist. Außerdem hat er lange als Eremit bei der Fontaine de la Vaucluse gelebt und seine Canzionere über Laura geschrieben. Diesen Weg würde ich vorziehen. › Auf den Gipfel ist das Ziel und das Ende unseres Lebens, auf ihn ist unsere Wallfahrt gerichtet.‹ Das war ein Wahlspruch des Dichters.«
Auf den Gipfel ist das Ziel und das Ende unseres Lebens, auf ihn ist unsere Wallfahrt gerichtet. Unsere Wallfahrt ist auf den Kandelaber gerichtet. Was bedeutete es für sie, ihn zu finden?
»Ist es nicht zu spät im Jahr, um den Weg durch die Berge zu nehmen?«, fragte Markus.
»Wir haben erst Ende Oktober, und hier im Süden wird es schonnicht so schlimm mit dem Schnee. Wir sollten auch daran denken, dass wir unheimliche Verfolger haben. Sie könnten wir durch so einen Umweg abschütteln.«
»Das Wetter ist um diese Jahreszeit noch recht gut«, meinte der Herbergswirt. »Von welchen Verfolgern sprecht ihr denn?« Er reckte neugierig das Kinn vor.
»Es sind Räuber und Diebe, die uns seit einiger Zeit verfolgen«, gab Froben zur Antwort.
»Die müsst ihr anzeigen. Obwohl … »Der Wirt legte den Finger an den Mund.« … die entwischen fast immer. Legt Euch lieber in einen Hinterhalt und prügelt sie ordentlich durch.«
Was für seltsame Worte aus dem Mund eines Pilgervaters.
»Das ist aber ein seltsamer Rat, den Ihr uns gebt«, sagte Teresa laut. »Solltet Ihr nicht Friedfertigkeit und Duldsamkeit predigen?«
»Damit kommt man nicht weit auf so einer gefährlichen Reise«, sagte der Mann. »Nun wollte ich Euch noch erzählen, durch welche Landstriche Ihr reisen werdet. Erst einmal durchquert ihr das wunderschöne Bergland von Savoyen. Beim Mont Ventoux kommt ihr in die Haute Provence . Über Montpellier geht es durch das Languedoc zum Baskenland und über die Pyrenäen nach Kantabrien.«
Froben machte eine unwirsche Handbewegung. »Danke für Eure Hilfe, aber wir wissen schon, wo es langgeht«, meinte er. »Trinkt aus, wir haben morgen einen langen Weg vor uns.«
Es schliefen nur sehr wenige Pilger in dem Raum. Trotzdem konnte Teresa lange nicht einschlafen. Die Nähe von Markus war ihr bewusst, auch wenn er, zusammen mit Froben und einem weiteren Pilger, hinter einem hölzernen Verschlag ruhte. Zwei Frauen lagen zusammengerollt unter ihren Decken und schnarchten mit den Männern um
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