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Die Pilgerin von Montserrat

Die Pilgerin von Montserrat

Titel: Die Pilgerin von Montserrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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Der Wind hatte sich gelegt, und es hatte aufgehört zuschneien. Ein tiefblauer Himmel spannte sich über die Berge, die in weiches Weiß gebettet waren und bläuliche Schatten warfen. Dazwischen standen dunkle Waldinseln. Der Schäferhund bellte, Hühner gackerten. Nach dem Frühmahl gab Markus dem Bauern ein paar Münzen in die Hand, woraufhin der über beide Backen grinste.
    »So viel wäre aber nicht nötig gewesen«, meinte der Bauer. Er brachte Markus sein Pferd. »Behüt Euch Gott«, waren seine Abschiedsworte, und er, seine Frau und die Kinder winkten ihm hinterher, so oft er sich umsah.
    Zu dem Brot und der Butter, die ihm die Bäuerin mitgegeben hatte, kaufte Markus in La Molina Speck und Bier, das er in seine Kalebasse füllen ließ. Von hier aus musste er noch einmal einen sehr hohen, tief verschneiten Pass überwinden, bevor es langsam abwärts ins Tal des Llobregat ging. Auf einer grob gezeichneten Karte der Umgebung, die er ebenfalls in La Molina erstanden hatte, sah er, dass es noch etwa zwei Tagesreisen bis zum Kloster Montserrat sein würden. Der Fluss zog an seinem Unterlauf unterhalb des Montserrat-Gebirges vorbei.
    Das Tal war dünn besiedelt, nur selten sah Markus ein paar Bauernhäuser oder Hütten, in denen sich Leben regte. Manchmal begegnete ihm ein Bauer, der mit einem Ochsenkarren voller Holz oder Rüben unterwegs war und ihn freundlich grüßte. Kurz vor dem Ort Manresa suchte er Unterschlupf in einer verlassenen Kirche, weil erneut Sturm und Schneetreiben begonnen hatten. Sein Pferd band er hinter der Kirche an einen Baum. Als seine Augen sich an das dämmerige Innere gewöhnt hatten, sah er, dass er nicht allein war. Drei Gestalten in dunklen Mänteln machten sich am Altar zu schaffen. Etwas in ihrer Haltung bewog ihn dazu, sich hinter einer der Säulen zu verstecken. Sie wandten ihm den Rücken zu. Sollte er wieder hinausgehen, in der Hoffnung, dass sie ihn nicht bemerken würden? Doch die Aussicht, bei dem Wetter weiterzureiten, schien ihm wenig verlockend. Eine brennende Neugier hatte sich seiner bemächtigt.
    Verstohlen bewegte er sich auf die Treppe zu, die auf die Empore führte. Er setzte einen Fuß nach dem anderen auf das blanke, von den Schuhen vieler Gläubigen eingedellte Holz, um zu verhindern, dass ihn ein Knarren verriet. Oben ging er auf die Knie und schaute hinter einer geschnitzten Figur in das Schiff hinunter. Einer der Männer entzündete mit Zunder und Feuerstein eine Fackel, stellte sie in einen Krug, der auf dem Altar stand, und entfachte weitere Fackeln damit. Das Kirchenschiff wurde in ein rötliches Licht getaucht. Von einem anderen Eingang der Kirche her waren Schritte zu vernehmen. An die dreißig vermummte Gestalten kamen herein, versammelten sich um den Altar und hockten sich am Boden in einem Kreis zusammen. War es das, was Teresa im Kloster Agenbach gesehen hatte? Einer der Männer begann in einer Sprache zu sprechen, die Markus nicht kannte. Möglicherweise war es Arabisch. Während seiner Rede ballte der Mann die Fäuste und reckte sie gegen das Dach des Schiffes, als wenn sich dort ihre Feinde versteckt hielten. Auf seine laut gerufenen, drohenden Fragen antworteten die Anwesenden mit einem monotonen Singsang. Der Mann in ihrer Mitte beugte sich jetzt zu ihnen herab und verteilte kleine, runde Gegenstände, die das Aussehen und die Form von Gebäck hatten. Alle rutschten herum, so dass ihre Gesichter sich nach Osten wandten. Sie sanken mit hoch erhobenen Armen zu Boden, richteten sich wieder auf und sanken erneut nieder. Was mochte das für ein Gebäck sein?
    »Wir werden siegen im Zeichen unserer Reliquie!«, rief der Anführer nun auf Latein, einer Sprache, die Markus beherrschte.
    »Wir werden siegen, erhabenster aller Führer!«, antworteten die anderen. Sie saßen unbeweglich da.
    »Die Schöpfung ist eine Kette mit sieben Gliedern«, redete der Anführer weiter. »Sieben Stufen müssen auf dem Weg zu Gott durchlaufen werden. Je höher ihr mit eurem Wissen über die Wirklichkeit von Erde, Hölle und Himmel steigt, desto höher steigt ihr in unserer Hierarchie. In unseren Zeremonien wird euer erlerntes Wissen ausgelöscht und durch neues ersetzt. Auf der höchstenStufe schließlich wird das Geheimnis aller Geheimnisse offenbart: Zwischen Himmel und Hölle gibt es keinen Unterschied, Himmel und Hölle sind eins. Das Tun und Lassen des Menschen ist sinnlos, war schon immer sinnlos. Einzig und allein der absolute Gehorsam gegenüber eurem Führer ist

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