Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
weiten Weg nach Jerusalem pilgerte?
Es war Alice so elend zumute, als ihr Vater sie durch eine Magd holen ließ. Sie fand ihn allein, ohne den Abt, was ihr als ein gutes Zeichen erschien. Er bat sie höflich, sich doch zu ihm auf die Bank zu setzen. Mit einer nachdenklichen Gebärde strich er über seinen Bart.
Dann begann er etwas umständlich:
»Liebe Alice, ja, das bist du. Meine liebe Tochter. Der Abt und ich«, Unwillen stieg in Alice auf, den sie jedoch mit Erfolg niederdrückte, »also, der Abt und ich, mein Bruder und ich, wir haben über deinen Wunsch nachgedacht.«
Alice horchte auf. Wenn nun der Vater etwas anderes sagte als der Abt vor wenigen Minuten auf dem Kirchplatz? Hatten sie eben noch miteinander gesprochen?
»Wir sind zu dem Entschluss gekommen …«
»Bitte, Vater, sagt das Richtige.«
»Nicht so ungeduldig!– Du darfst mit nach Jerusalem pilgern.«
»Wirklich? Vater, wirklich?«
Auf sein Nicken umarmte sie ihn:
»Vater, habet Dank.«
»Lass, Alice. Ich weiß nicht, ob es richtig ist. Es ist ein Zug in den Krieg. Vernünftiger wäre es, du würdest den Kaufmann heiraten. Er würde zu seinem Versprechen stehen, obwohl nun dieses ganze Geschäft hier verpfändet ist.«
Alice sah ihren Vater fragend an.
»Du musst es endlich wissen. Der geschäftliche Teil dieses Kreuzzuges sieht so aus, dass ich das Haus hier, die Waren wie auch die Gelder, die ich noch zu erwarten habe, an das Kloster verpfändet habe. Dafür erhalte ich das Geld, das ich für die Pilgerfahrt benötige, wir benötigen«, korrigierte er sich. »Es wird uns übermorgen vom Vogt des Klosters übergeben. Das Kloster ist reich. Gerade Adelige wollen in seiner Nähe beerdigt werden und es werden für die Toten viele Seelenmessen gelesen, weil es berühmt ist für Gottesfurcht und Heiligkeit. Durch meinen Bruder berühmt«, sagte er bitter. »Der Abt, ich meine, mein Bruder, also Johannes, wie er als Mönch heißt, hat trotzdem etwas Mühe, in so kurzer Zeit so viel Geld flüssig zu machen, er wird sogar eine kostbare Reliquie einschmelzen. Na ja, das ist seine Sache.«
»Das heißt, wir haben nichts, falls wir mit leeren Händen zurückkommen sollten?«
»Du sagst es. Ich bin schon jetzt darüber ganz unglücklich. Ich werde natürlich versuchen, Geschäftsbeziehungen aufzubauen. Und natürlich erwarte ich viel vom Handel mit Gewürzen und Tuchen und den vielen Kostbarkeiten, die das Morgenland zu bieten hat …
Aber natürlich, Jerusalem muss erst noch erobert werden.«
Für einen Augenblick versank er ins Grübeln. Offensichtlich stellte er sich die militärische Eroberung dieses Heiligtums nicht erfreulich vor.
»Für dich allerdings ist gesorgt. Weswegen der Kaufmann dich wohl trotzdem heiraten würde.«
Er stand auf und holte von seinem Schreibpult ein unversiegeltes Dokument.
»Aber sieh, hier, lies selbst. Abt Johannes verpflichtet sich, deine Mitgift während unserer Abwesenheit zu verwalten und sie dir bei unserer Rückkehr auszuzahlen.«
»Wie habt Ihr ihn denn dazu gebracht?«
»Es war sein Vorschlag. Er meinte, du solltest nicht unter meinen Sünden leiden.«
Alice sah ihren Vater abwartend an.
Er schwieg einen Augenblick, überlegte, ob er mit seiner Tochter darüber sprechen könnte.
»Ich muss an den Tod denken.«
»Nein!«
»Ich erhoffe mir Vergebung«, fuhr er unbeirrt fort. »Ich bin 42 Jahre alt und weiß nicht, wie lange ich noch lebe. Ich habe Angst vor den Qualen des Fegefeuers, vor den Schrecklichkeiten der Hölle. Der Papst hat allen, die auf dem Kreuzzug sterben, einen vollkommenen Ablass gewährt, so sagt man jedenfalls. Der Abt vertritt zwar die Meinung, der Papst hätte nur die irdischen Bußen erlassen. Aber das glaub ich nicht, der Bischof hat den Eintritt in das Paradies versprochen und er beruft sich auf den Papst. Außerdem hat der Papst noch niemals der Gewährung des vollkommenen Ablasses widersprochen.«
Er übersah Alice’ enttäuschtes Gesicht.
»Jedenfalls, ich muss an das Sterben denken und an meine Seligkeit. Der Tod ist lang, viel länger als das Leben …«
»Vater«, Alice ergriff seine Hände. »Ihr habt doch gar nichts Böses getan!«, drang sie auf ihn ein und wusste, dass sie log.
»Wir sind alle schuldig. Wir bedürfen alle der Erlösung. Auch du!«, entgegnete der Vater und erhob sich, ein Zeichen, dass Alice entlassen war.
»Unser Aufbruch also ist in zwei Tagen. Mach dich bereit.«
Die Vorbereitungen zur Abreise gaben Alice’ Gedanken eine neue,
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