Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
erhältst die Karte nur, wenn du das Geld annimmst. Aber natürlich könnt ihr diese Karte zu dritt benutzen.«
»Ihr seid grausam«, wagte Alice, ihren Gedanken auszusprechen.
»Das mag dir so erscheinen. Aber ich habe meine Gründe.«
Alice fieberte in Gedanken. Es war ihr klar, dass sie den Abt nicht umstimmen könnte.
Er schickte sich jetzt schon an zu gehen.
»Halt!«, rief sie. Was war gewonnen, wenn sie das Geld nicht annähme? Und machte sie sich nicht Martin gegenüber schuldig, dem das Geld sonderbarerweise gleichermaßen galt?
»Ich nehme es.«
»Gut. Schwöre bei der Mutter Maria, die euch beschützen möge, dass du dieses Geld ausschließlich in der Not für dich und Martin verwendest, auf keinen Fall jedoch deinem Vater etwas davon abgibst.«
»Ich schwöre es«, sagte Alice mit unglücklicher Stimme. Sie hatte das Gefühl, ihren Vater grausam zu verraten, der ihr doch immer Gutes getan hatte.
Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Schuld auf sich geladen.
Es gab für den Abt offensichtlich nichts mehr mitzuteilen, denn unmittelbar nach ihrem Schwur verließ er Alice’ Kammer. Sie aber blieb unschlüssig und ratlos im Raum stehen, erschrak, zuckte zusammen, als es plötzlich wiederum an der Tür klopfte, versteckte die Silbermünzen und die Karte in Windeseile unter ihrem Kleid.
Alice war erleichtert, als der Abt sich noch am selben Abend von seinem Bruder verabschiedete und ins Kloster zurückkehrte. Sie selbst vermied es, ihm noch einmal zu begegnen.
Dass das ständige Rauschen des Regens endlich aufgehört hatte, war das Erste, was Alice am Tage ihres Aufbruchs ins Heilige Land wahrnahm. Trotz ihrer Aufregung war sie nach Mitternacht in einen unruhigen Schlummer gesunken und wurde nun von einer Magd geweckt. Der Planwagen war schon am Abend davor vollends, natürlich bis auf die Geldtruhe, gepackt worden. In der großen Halle standen Grießbrei, helles Brot, etwas Geflügel, der tägliche leichte Wein und Wasser auf dem Tisch. Schweigend nahm der Vater mit seiner Tochter diese letzte Mahlzeit ein. Er hatte die Nacht weitgehend mit Beten verbracht. Einmal nur war er in sein Kontor gegangen, hatte Tränen unterdrückt und Verzweiflung erstickt. Seine einzige Hoffnung in all dieser Auflösung seines Lebenswerkes bestand darin, dass er unterwegs gekaufte Waren an einen befreundeten Handelspartner schicken wollte, der ihn am Gewinn beteiligen würde. Das hatten sie fest und schriftlich vereinbart. Vor dem Kreuz in seinem Schlafzimmer war er auf die Knie gesunken in dem heißen Wunsch, Gott möge dieses Opfer annehmen.
Nun war er gefasst – und machte sich Sorgen. Seine größte Sorge galt der Frage, ob er die Pilger noch vor der ungarischen Grenze erreichen würde. Wäre er allein und ohne Alice, so wäre er dem Zug hinterhergeritten, allerdings begleitet von den Dienstleuten des Vogtes des Klosters, die die Truhe bewachten, bis sie den Sammelplatz erreichten, von wo an das Geld ständig von bewaffneten Kämpfern verteidigt werden konnte. Nun aber hatte Karl sich wegen Alice und beeinflusst durch den ständigen Regen und die Sorge, vom Winter im Balkangebirge überrascht zu werden, für den durch eine Plane geschützten Wagen entschieden, der auf den durchweichten Straßen allerdings sehr langsam vorankommen würde. Was wäre, wenn Gottfrieds Heer schon die ungarische Grenze überschritten hätte …
Ähnliche Gedanken bewegten auch Alice, die an Martin dachte, der sicher ebenfalls rastlos und sorgenvoll auf seinen Herrn wartete, mit ihr aber nicht rechnete. Würde er sich vielleicht doch freuen? Und dann wieder grübelte sie über das Wort des Abtes nach: Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.
War das nun schon alles verwirrend und befremdend genug, so würden sie auch noch unter dem Begleitschutz des Grafen von Baerheim pilgern. Entsetzlich! Unangenehm war ihr das alles. Aber verheiratet zu werden mit einem viel älteren Mann, würde sie höchstwahrscheinlich in noch größere Schrecken versetzen als ein Kreuzzug nach Jerusalem.
Ohne sich noch einmal umzusehen, verließ Alice im ersten Morgengrauen ihr Vaterhaus und bestieg den Wagen. Der Vater lenkte das Gefährt die Marchstraße hinab Richtung Donau und bog nach links zum Fischmarkt ab, wo Fischer nach getaner Arbeit ihre Boote vertauten.
Die Stadt war sonst kaum belebt, die Menschen in den mit Reet bedeckten Häusern und Lehmhütten schienen noch ihrem fest gefügten Tagewerk entgegenzuschlafen.
Rab, das
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