Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Grafen, er flehte ihn an, ihm die Schuld bis zum nächsten Jahr aufzuschieben. Er hoffte, dass Gott unsere Gebete erhört.
Aber Graf Walter sagte Nein. Er wollte auf die Pilgerfahrt gehen mit vier Männern seiner Familie. Dafür brauchte er Geld, um Waffen und Pferde und Lebensmittel für all seine Ritter zu kaufen. Er blieb hart und verlangte die gesamten Erträge, das war fast die ganze Ernte. Meine Mutter hat geweint, weil nach der Abgabe an den Grafen nichts mehr für uns selbst zum Leben übrig blieb. ›Werde bloß nicht wieder schwanger‹, hat mein Vater ihr jeden Tag gedroht.
›Ich kann doch nichts dafür, wenn ich ein Kind empfange. Würdest du mich in Ruhe lassen, ich wäre nicht immerzu schwanger‹, hat sie gejammert.
›Ach, Weiber!‹, hat er ihr geantwortet.
In diesem Unglück kamen unser Nachbar und mein Vater auf den Gedanken, dass zumindest eine Familie überleben könnte, wenn sie die Ernte der anderen besäße. Sie beschlossen, um die Ernte zu würfeln. Betrunken waren beide. Um sie herum standen grölend die anderen Männer und verfolgten das Spiel.«
Der Junge schwieg einen Augenblick und wartete auf eine Bewegung oder ein Wort der Spannung von Seiten Bernhards.
»Mein Vater gewann das Glücksspiel. Gott war mit meinem Vater.
Doch der Nachbar, dieser verdammte Hurensohn, wurde wütend und fluchte:
›Deine Nase soll im Arsch eines Hundes stecken!‹
Einige der Umstehenden, die zu der Familie des Nachbarn gehörten, schrien nun, mein Vater sei ein wissentlicher Betrüger und habe falsch gespielt.
Mein Vater geriet in Zorn und musste den Vorwurf abwehren und da schwor er, dass er unschuldig sei, er schwor bei der Jungfrau Maria.«
»Hm«, sagte Bernhard. »Was schwor er denn genau?«
»Mein Vater schwor bei der unbefleckten Fotze der Jungfrau Maria.«
Schweigen.
»Das hätte er natürlich nicht tun dürfen. Jedenfalls unser Nachbar ging gleich bei Sonnenaufgang zum Grafen von Poissy und meldete ihm, dass mein Vater die Jungfrau Maria gelästert hätte. Der Graf wurde zornig. Auf der Stelle befahl er meinen Vater auf die Burg und er ließ auch kurzerhand seinen Henker kommen, damit er meinem Vater die Zunge abschnitte.
Mein Vater fiel auf die Knie, winselte und bettelte und bat um Gnade und Erbarmen. Im letzten Augenblick, als die Knechte schon meinen Vater aus den Burghof herausführen wollten, damit der Henker vor aller Augen jedem zeige, welche Strafe auf diesem Fluch lag, da gab Gott meinem Vater einen Gedanken ein und er rief:
›Ich nehme das Kreuz. Ich gelobe es. Ich gehe mit meiner ganzen Familie zum Heiligen Grab nach Jerusalem und bitte um Vergebung!‹«
»Familie«, gab Bernhard zu bedenken. »Ich vermute, du wünschst, dass ich deine Geschwister miternähre. Wer gehört zu deiner Familie?«
»Ich habe nur einen kleinen Bruder, er ist jetzt drei Jahre alt, und zwei Schwestern. Die eine, Anne, ist sechs Jahre alt, genau wissen wir das nicht. Sie sorgt für uns, seitdem meine Mutter tot ist. Sie kocht und backt, wenn wir etwas Essbares haben, wäscht und passt auf meinen kleinen Bruder auf. Sie ist sehr gut und fromm.
Für meine älteste Schwester braucht Ihr nicht zu sorgen. Die sorgt für sich selbst.«
Bernhard strich sich über das Kinn und sah den Jungen abwartend an.
»Natürlich, meine Mutter bettelte und schalt und verbot das meiner Schwester.
Sie sagte zu Marie: ›Welch eine Schande für die Familie. Denk an dein wichtigstes Gut.‹ Aber meine Schwester erwiderte:
›Ich will nicht verhungern. Vater bringt nur noch Ratten und Hunde, die wir kochen und essen müssen.‹«
Auf Bernhards Blick, denn ihm waren auch zwei Jagdhunde abhanden gekommen und sogar Rother war spurlos verschwunden, rief der Junge erschrocken:
»Nein, nein, von Euch hat mein Vater keinen Hund gestohlen. Ich schwöre.«
»Wehe!«
Der Junge wich zurück aus Angst, Bernhard würde ihn schlagen. Als nichts dergleichen geschah, fuhr er fort zu erzählen:
»Meine Mutter weinte und flehte meine Schwester an:
›Denk nach, du bist viel zu jung. Warte wenigstens, bis du eine richtige Frau bist und es dir nach Art der Frauen geht.‹
Da antwortete Marie:
›Um so besser jetzt. So kann ich jedenfalls noch nicht schwanger werden und einen Esser mehr ins Haus, ich meine ins Zelt, bringen.‹
Meine Mutter konnte es nicht verhindern und an Weihnachten brachte Marie ein großes Stück Hammelfleisch in einem Tuch unterm Arm. Meine Mutter wollte zuerst nichts anrühren. Aber dann hat sie das
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