Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Zusammenhänge richtig deutete. Von ihm hatte ich auch den Schlafmohn gegen die Schmerzen. Gleichgültig, wie es dazu gekommen ist, es ist so.«
»Dann warst du Bernhard wohl zu Dank verpflichtet.«
»Nein, war ich nicht. Wie kannst du nur so was denken.«
Sie schwiegen. Nur nicht streiten, dachte sie.
»Nur fühle ich, bin ich mir ganz sicher, dass mein Vater noch im Zwischenreich ist, dass er keine Ruhe findet und niemals ins Paradies eingehen kann, sondern gequält und gefoltert umherirrt. Verstehst du das?«
»Wie sollte ich nicht, das ist die göttliche Strafe für Selbstmörder.«
»Bist das wirklich du, der das spricht?«
Martin zuckte die Achseln.
»Ich habe solche Angst, dass mein Vater für immer in die Hölle kommt. Jeden Tag bete ich für seine arme Seele. Aber es ist umsonst. Ich bin mir ganz sicher, dass meine Gebetskraft nicht ausreicht, um ihn von seinen Leiden zu befreien. Ich bin keine Nonne, ich bin nicht einmal eine verheiratete Frau.«
Martin blickte auf.
»So bitte doch den Abt, dass er Seelenmessen für deinen Vater liest. Er wird es umsonst tun.«
Alice schüttelte den Kopf. »Ich kann ihn nicht bitten.«
»Er ist nicht so unnahbar, wie du annimmst. Du magst ihn nicht. Aber von weit her kommen Menschen in sein Kloster, um dort wegen der Seelenmessen zu sterben.«
»Nein. Gerade ihn kann ich am wenigsten bitten. An dem Abend, als der Abt nach 15 Jahren zum ersten Mal wieder in sein Elternhaus kam und mein Vater sich entschloss, das Kreuz zu nehmen, habe ich ein Gespräch belauscht. Anfangs habe ich es nicht verstanden. Heute weiß ich, der Abt warf meinem Vater vor, er habe meine Mutter die Treppe hinuntergestoßen, mein Vater sei der Mörder meiner Mutter.«
»Und, was hat dein Vater gegen diese Anschuldigung gesagt?«
»Er konnte sich an nichts erinnern. Er war zu betrunken, als der Unfall geschah.«
»Ja, er war ein Säufer. Er hielt nicht Maß!«
»Martin!«, Alice warf sich vor ihm auf die Knie. »Ich bitte dich. Ich bin auch schuld am Tode meines Vaters. Ich gab ihm den Schlafmohn. Nun ist er tot. Ich fühle, wie seine Seele um mich ist und mich anfleht. Irgendwie bin ich ganz sicher, dass in dem Brief etwas steht, was ihn von dem schrecklichen Vorwurf entlastet.«
»Wenn er frei von Sünde ist, dann weiß das auch Gott. Er wird deinen Vater nicht wegen einer Tat verurteilen, die er nicht begangen hat. Gott ist gerecht.«
Nein, ist er nicht, rebellierte es trotz seiner eigenen Worte in Martin. Niemals hätte er Theresa so sterben lassen dürfen.
»Gott ist gerecht. Aber die Toten bedürfen auch unserer Fürbitte. Ich weiß, dass mein Vater nur zur Ruhe findet, wenn dieser Vorwurf auf Erden von ihm genommen ist.
Bitte, Martin. Schon morgen brechen Bernhard und ich zusammen mit anderen Rittern und ihren Frauen nach Edessa auf. Es kann sein, dass du und ich uns niemals mehr lebend wiedersehen.«
Martin strich sich über sein Kinn, auf dem sich ein dichter Bartwuchs zeigte.
»Ich kann mein Versprechen nicht einfach brechen. Lass mich einen Augenblick allein. Ich muss überlegen, was … was der Abt dazu sagen würde.«
Er setzte sich an den Tisch, stützte den Kopf auf, doch es fiel ihm nichts ein. In seinem Kopf war es dumpf, leer. Er versuchte, sich den Fremden vorzustellen, der sein Vater war. Er wusste so wenig von ihm.
Diesen Brief hatte sein Vater eigenhändig geschrieben. Er enthielt ein Geheimnis, das nicht für ihn bestimmt, aber möglicherweise für ihn von Bedeutung war. Martin gab sich einen Ruck.
»Alice!«, rief er. Die Tür öffnete sich sofort.
»Wir lesen zusammen den Brief. Aber du musst ihn öffnen.«
Wie Adam, dachte sie, der die Verantwortung auf Eva schiebt, als er von dem verbotenen Apfel gegessen hatte.
»Danke«, sagte sie und die beiden jungen Leute schoben die Stühle zusammen.
Alice erbrach das Siegel.
› Im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit und der ungeteilten Einheit.
Ich, Johannes, durch Anordnung der göttlichen Gnade unwürdiger Diener der Heiligen Kirche und des Klosters Lichtenfels, wünsche Dir Getreuem Christi Karl Gnade und ewiges Heil in Christo.
Nach schwerer Krankheit verlässt heute Martin das Kloster, um sich der Pilgerfahrt nach Jerusalem wieder anzuschließen. Martin besitzt mein ganzes Vertrauen und so wird er Dir nicht nur Alice’ Mitgift überbringen, sondern auch diesen Brief, der nicht in unbefugte Hände gelangen sollte.
Seit Deiner Abreise war ich häufig in unserem Vaterhaus, um festzustellen, welche
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