Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
blinzeln, als das grelle Sonnenlicht auf sein Gesicht fiel – und schrak zusammen.
Hart wurde er von einem der Sekretäre Bohemunds angerempelt.
»Ah, Ritter Martin«, grinste der andere. »Bischof Adhémar braucht keinen Schreiber mehr. In Zukunft diktiert Bohemund die Briefe an den Papst und an die anderen Würdenträger uns und nicht Euch.«
Martin sah den Mann befremdet an. Endlich fasste er sich: »Dies ist ein Tag der Trauer und nicht des Triumphes. Das sollten auch Bohemunds Leute nicht vergessen.«
Ohne Bohemunds Sekretär noch weiter zu beachten, ging Martin die Stufen hinunter.
Das Furchtbare war nur, so wurde Martin bewusst, gerade die Widersacher Adhémars übernähmen nun seine Aufgaben. Für ihn selbst aber gab es nichts mehr zu tun. Es war zum Heulen.
Nur sich nicht anmerken lassen, dass er im Moment nicht wusste, wohin er gehen sollte.
Alle fort, alle tot, einfach weitergehen.
Als hätte er ein Ziel, bewegte er sich über den weiten Platz vor der Kathedrale.
Bloß immer einen Fuß vor den anderen setzen. Es schien ja auch natürlich, dass er zum Palast des Bischofs ging, dort waren schließlich noch seine Sachen.
Offensichtlich fand es auch Bernhard selbstverständlich, denn vor dem Eingangsportal stand Kaspar und wartete auf ihn, wie immer barfuß, aber ansonsten ordentlich gekleidet.
Es war Martin nicht angenehm, den Jungen zu sehen, der sich tief vor ihm verneigte.
»Ritter Martin, die Pilgerin Alice möchte Euch sprechen. Ich habe den Auftrag, wenn es nur irgend geht, Euch sogleich zu ihr zu bringen.«
Martin zuckte kaum merklich die Achseln, wunderte sich zwar, jedoch war es ihm recht, mit irgendetwas musste er ja die Zeit ausfüllen.
Bewusst würdevoll stand Alice in einem Saal, durch dessen Fenster nur wenig Licht hineinfiel und der stattdessen von Kerzen erleuchtet war. Inmitten des Raumes befand sich ein großer Tisch mit zwei Stühlen. Von Bernhard war nichts zu sehen, aber Martin ahnte, dass er hinter einer der Türen zuhörte.
»Du hast mich rufen lassen? Wozu?«
Alice schluckte. »Ich wollte gerne wissen, wie es Rab geht.«
Martin kniff die Augen zusammen und zog die Mundwinkel ungläubig nach unten.
»Ja, wirklich. Wir haben ihn gemeinsam aufgezogen. Er war unser Pferd. Das Letzte, was wir noch aus der Heimat besitzen. Und fast alle Pferde tot. Zeitweilig hatten wir kein einziges mehr. Nun hat uns jedenfalls Bernhard Reitpferde aus dem Lager Kerboghas besorgt. Wie geht es Rab?«
»Gut«, antwortete Martin knapp.
Was störte ihn so sehr an Alice? Sie war kaum geschminkt, wenn überhaupt. Das Haar trug sie streng nach hinten zu einem dicken Zopf geflochten, sodass nur ihre Ohrringe funkelten und wohl leise klirrten, wenn sie den Kopf bewegte. Das türkisfarbene Kleid war entgegen der Mode zu eng geschnitten. Alice wirkte vornehm, doch daran war nichts auszusetzen, er musste sich nur selbst betrachten. Von dem ehemaligen Knecht war nichts übrig geblieben.
»Das ist eine sehr kurze Antwort.«
»Alice, du willst mir doch nicht weismachen, dass du mich hast holen lassen, um über Rab zu sprechen.«
»Nein, nicht nur, aber glaube mir, auch ich habe Rab sehr gerne.«
Sie holte Luft. »Ich weiß, du hast einen Brief vom Abt an meinen Vater.« Sie atmete tief durch. »Ich weiß es seit Nikäa, als du verwundet und bewusstlos warst und Markus und ich dich gesucht haben.«
»Und nun willst du wissen, was in dem Brief steht. Das kann ich dir nicht sagen.
Ich habe dem Abt versprechen müssen, dass ich nur Karl, deinem Vater, den Brief aushändige. Wenn dies nicht möglich wäre, soll ich den Brief dem Abt zurückgeben. Wenn ich aber sterben sollte oder in Gefangenschaft gerate, soll ich den Brief vernichten.«
»Hast du das versprochen oder geschworen?«
»Versprochen. Der Abt sagt, Jesus habe seinen Jüngern verboten zu schwören.«
»Ich muss den Brief lesen, Martin. Ich muss. Bitte.«
Martin schüttelte den Kopf.
»Du warst nicht dabei, als mein Vater gestorben ist. Er wurde beim Plündern zum Krüppel zusammengeschlagen. Und als wir Pera verlassen mussten, weil es in Brand gesteckt werden sollte, da wollte er nicht mehr mit, er konnte nicht mehr mit. Jedenfalls, so stelle ich mir seine Gedanken vor. Martin, er hat Schlafmohn genommen, er hat mich mit einem Auftrag weggeschickt und als ich wieder zu ihm kam, war er tot. Weißt du, was das heißt?«
»Er ist ein Selbstmörder.«
»Bernhard hat ihm zu einem christlichen Begräbnis verholfen, auch wenn er die
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