Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
hatte er leise und liebevoll zu ihr gesagt: ›Komm!‹ und sie hatten sich ein Lager auf Moos, Gras und kleinen Blumen gesucht, waren zärtlich miteinander gewesen, hatten sich liebkost, bis Daniel ihren Schoß gesucht hatte.
So war es gewesen, so war er, Martin, entstanden. Nicht gerade aus Liebe, so doch aus Sehnsucht, Trauer und Zärtlichkeit.
So war es nicht!
Es war im Kellergewölbe geschehen! Der Abt wollte Grausamkeit, Unterwerfung und Tod – und Martha hatte Blut geleckt. Denn wie haben sie in ihrer grässlichen Lust, ihrem bestialischen Rausch über Felicitas triumphiert, die wie ein Lamm auf dem mit Rosen besteckten Bett lag, und zwar den Schmerz, aber keine Freude empfand. Sie war das Opfer und nicht Martha, die sich voller Gier vom Abt vergewaltigen ließ und nicht genug haben konnte von seiner Kaltblütigkeit, seiner Grausamkeit. Martha würde immer abschätzig auf ihre Herrin herabblicken, die lustlos ihre ehelichen Pflichten erfüllte. Karl aber hätte bald genug von seiner Frau, die nichts bei seinen ungeschickten Liebkosungen empfand und deutlich mit ihrem hochmütigen Gesicht, den roten Haaren, den grünen Augen, hochgezogenen Augenbrauen und den leichten Sommersprossen in einem sonst makellos bleichen Gesicht ihre Verachtung ausdrückte. Martha aber, die sonst ihren Herrn mit Freude und Demut empfangen hätte, war verdorben durch die Begegnung mit dem Abt. Niemals würde Karl in ihr diese wilde, heiße Begierde erwecken oder diese gar stillen können. Karl war ein Nichts in ihren Augen. Das Einzige, was Karl ihr bieten konnte, war Macht – die Macht, Herrin über alle Mägde und Knechte, über das ganze Haus zu sein. Dazu musste Felicitas fort, ganz fort. So keimte seit jener Nacht in Martha der Wille, Felicitas zu töten.
Ja, so musste es gewesen sein. Die letzten Worte, die der Abt der am Boden zusammengekauerten, wimmernden Magd, seiner Sklavin, wie Brotbrocken an einen Hund zuwarf, lauteten:
›Rache! Vernichte sie!‹
Martin blieb abrupt stehen. Die Erkenntnis durchjagte ihn:
Seine Mutter – eine Mörderin! Der Abt aber, sein Vater, war der Teufel!
Wohin nun? Sterben. Auf der Stelle sterben. Endlich tot sein. Warum war er nicht tot? Es waren so viele gestorben, verhungert, verdurstet, im Kampf ums Leben gekommen. Warum nicht auch er, Martin. War Gott so grausam, dass er einen Mann zum Vater haben sollte, der wie ein Heiliger verehrt wurde und in Wahrheit der Satan war?
Aber es starb sich nicht einfach, schon gar nicht, wenn man jung war. Irgendwohin musste er also gehen. Sein Körper war an Raum und Zeit gebunden, er konnte niemals nirgends sein.
Martin stolperte zum Palast des Bischofs Adhémar. Hier waren jedenfalls noch seine Sachen. In der Eingangshalle Fackeln, die knisterten, sonst Stille, niemand zu sehen. Natürlich, die Fürsten und die hohen Geistlichen waren beim Leichenschmaus, die Bediensteten beim Almosengeben.
Er öffnete die Tür zu dem Saal, in dessen Mitte immer noch das Bett des Bischofs stand, ging dann niedergedrückt in sein Zimmer. Am Fenster blieb er stehen und starrte hinaus.
Unter ihm der Platz, auf den allmählich die umgebenden Häuser ihre Schatten warfen. Martin stand ganz ruhig, die wilden Fantasien wichen von ihm. Er wusste schließlich nichts darüber, wie er entstanden war. Aber eines blieb sicher: Es war ein Fluch.
›Wenn ihr wüsstet, was ich jetzt tun werde‹ war wirklich ein Fluch.
Selbst wenn der Abt, sein Vater, es nur als Drohung gemeint und gewollt hatte, so hatten sich die Worte von ihrem beabsichtigten Sinn gelöst, hatten Kraft und Wirkung gewonnen, waren zum Fluch geworden.
Und dieser Fluch lautete: ›Wen du liebst, der stirbt‹.
Martin atmete tief durch. Es war keine Einbildung, es war die Wahrheit.
Der Abt, als er noch nichts war als Karls jüngerer Bruder, hatte Felicitas geliebt und weniger als ein Jahr nach ihrer Hochzeit war sie tot, war sie getötet worden. Ermordet von Martins Mutter! Wie hatte er immer diese blitzenden, herrischen, selbstherrlichen Augen gefürchtet.
Und Karl selbst? Das Vermögen verloren, zum Krüppel geschlagen, tot, ein sinnloses Leben.
Nicht einmal gut als Opfer für Gott.
Aber das Furchtbare war, der Fluch war auf ihn, Martin, übergegangen. Er war in Sünde gezeugt. Kinder aber, deren Eltern eine Schuld auf sich geladen hatten, die miteinander geschlafen hatten während der Fastenzeit, die Gott geflucht, gelogen oder gestohlen hatten, ohne zu beichten, deren Kinder waren
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