Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
widerspricht.
Niemals mehr, so durchbebte den Prior die Genugtuung, werde ich warten müssen, sondern wo du stehst, da werde ich sein.
Nun trat er hervor zum Bruderkuss. Jedoch verwirrend war es, der Abt schien mit der Umarmung zu zögern. Warum blickte er ihm unvermittelt prüfend in die Augen, so als sagte sein Blick: Verräter. Judas. Nicht auszuhalten war dieser Blick, dem er standhalten musste. Dem Prior wurde heiß. Der Abt lächelte und auch er lächelte zurück und wandte sich dann ab, um wieder auf seinem Chorstuhl Platz zu nehmen. Nach ihm kam Thaddäus an die Reihe. Das würde morgen auch ein Ende haben, stellte er befriedigt fest. Nicht ganz befriedigt, denn er war beunruhigt. Dieser Blick? Ahnte der Abt etwas? Wusste er von der Tat? Unwahrscheinlich. Nein, er konnte ganz unbesorgt sein, denn die Mörder waren erfahrene Männer und der Mittelsmann aus Passau, der seinen Namen verraten könnte, der wäre morgen früh selber tot. In der Nacht im Bett gestorben. Ein gnädiger Tod. Herzversagen. Das kam vor.
Der Prior hatte sich gänzlich beruhigt, als endlich die Messe zu Ende war und er die Kirche verließ. Die Mönche eilten an ihm vorbei Richtung Refektorium, wo noch vor Einbruch der Dunkelheit die Abendmahlzeit eingenommen wurde. Wie die Kinder, dachte er geringschätzig, wie kleine, hungrige Kinder. Er selbst blieb noch vor der Klosterkirche stehen, der Abt ging an ihm vorbei, schien ihn aber nicht weiter zu beachten.
Es war also nichts, der schöpfte sicher keinen Verdacht.
Gott sei Dank. Der Prior sah nach oben zum Himmel, als wollte er sich dort Kraft und Gewissheit holen.
Sein Blick fiel auf das Jüngste Gericht über dem Kirchenportal. Christus thront im Zentrum, umgeben von einem Wolken- und einem Sternenkranz. Mit ausgestreckten Armen teilt er die Welt des Jenseits in das Paradies zu seiner Rechten und die Hölle zu seiner Linken. Dort aber, aus dem Höllentor, ragt der aufgesperrte Rachen eines Ungeheuers, hinter dem der Teufel herrscht. Gekrönt, unter einem Giebel sitzend, hält der Satan Gericht, ein Mönch und eine entblößte Frau warten auf ihre Höllenqualen, ein Ritter wird für seinen Hochmut mitsamt seinem Pferd in die Hölle geworfen und ein Erhängter mit einem Beutel um den Hals schrie ihn an: ›Judas!‹
Und wenn der Abt nun doch ein Heiliger war, wie nicht nur die Armen, Ungebildeten glaubten? Wenn er, Philipp, Prior, für seinen Tod in die Hölle käme? Hatte nicht gerade der Heilige Benedikt dem Prior verboten, neidisch und eifersüchtig auf den Abt zu sein und sich zu stolzer Überheblichkeit verleiten zu lassen? Ausdrücklich hatte er in seiner Ordensregel festgelegt, der Prior führe in Ehrerbietung aus, was ihm von seinem Abt aufgetragen würde.
Noch könnte er der Tat Einhalt gebieten. Philipp schüttelte innerlich den Kopf. Wie denn, ohne sich zu verraten?
Als Letzter begab er sich ins Refektorium zum Essen. Doch während der Mahlzeit beobachtete er den Abt, der oftmals nicht allein, sondern mit den Brüdern aß.
Es war ganz klar, dachte der Prior, als er sich zur Meditation zurückzog, der Abt zog alle in seinen Bann, trotz der Gerüchte, die über ihn hinter vorgehaltener Hand im Kloster umgingen. Gewiss war, er hatte seine Macht vom Teufel. Teuflisch war er, weil er Wunder wirkte. Weil er dieses Gemisch aus Blut und Schleim, den eitrigen Ausfluss der Wunden getrunken hatte – vor aller Augen – und rein blieb. Makellos. Das war Sünde. Der Abt demütigte jeden, indem er vollkommen war. Wie er ihn hasste! Zu Recht hasste. Denn Hochmut war die größte Sünde. Demut war es, was der Heilige Benedikt von jedem Mönch forderte. Demut bis in die Seele und die Körperhaltung hinein. Allzeit sollte sein Haupt geneigt, seine Augen zur Erde gerichtet sein. Dieser Abt machte keineswegs einen schuldbeladenen Eindruck. Selbst wenn also dieser Abt nicht des Teufels war, so beging er doch jeden Tag aufs Neue die Todsünde des Hochmuts, indem er alle beschämte, weil sie nicht makellos sein konnten. Ihm gebührte der Tod.
Die Komplet wurde gesprochen, die allen Mönchen den Mund schloss. Schweigend stiegen sie die Leiter zum Schlafsaal hinauf, in dem schon das Licht brannte. Doch natürlich, zuerst standen sie wieder Schlange, vor den Latrinen. Philipp lächelte verächtlich.
Schade nur, dass der Abt in seiner Wohnung seinen eigenen Abort hatte.
Schade, und hier konnte sich der Prior nicht eines Grinsens erwehren, schade, dass der Abt nicht beim Scheißen ermordet
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