Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
er wusste und genoss es.
In Caeserea angekommen, schlugen die Heere auf den Feldern vor der Stadt ihre Zelte auf. Für Wasser war gesorgt, denn am Fuße des Berges entsprang eine Quelle, ein angenehmer Ort also. Es war warm, aber noch nicht zu heiß, und vom Meer wehte ein leichter Wind. Bernhard hatte sich bei ihrer Ankunft sofort ins Meer gestürzt, Alice wusste es, auch wenn er es ihr nicht gesagt hatte.
Mühsam baute sie mit anderen Frauen ihr Zelt auf. Beschwerlich erschien es ihr, obwohl ihr nach drei Jahren unterwegs nichts gewohnter war, als ein Zelt aufzuschlagen und in einem Zelt zu leben.
Überall Stimmen um Alice herum, die Lagerfeuer wurden entzündet, der Geruch von gebratenem Hammelfleisch drang in ihre Nase, überall stieg Rauch auf und biss in den Augen. Überall Menschen, die laut in Worten und in ihren Herzen Gott priesen für die Gnade, Pfingsten im Heiligen Land feiern zu dürfen.
Raus musste sie hier. Nachdenken wollte sie. Alice drückte ihrer Kinderfrau den Jungen in den Arm und verließ zum ersten Mal, seitdem sie den Orient, seitdem sie Feindesland betreten hatten, allein das Lager.
Am Strand zog sie ihre Schuhe aus, ging bis ans Meer, ließ ihre Füße vom Wasser umspülen. Es fühlte sich kühl an und Alice beneidete Bernhard, der, wo immer er einen See oder einen Fluss fand, sich auszog und in den Wassern tauchend verschwand.
Bernhard. Bis jetzt waren sie beide Pilger gewesen, wie jeder hier. Ob Herzog oder Ritter, ob Gräfin oder Bauersfrau, ob Priester oder Dirne, sie alle waren Pilger.
Auch wenn die Ritter einen höheren Rang, ein höheres Ansehen besaßen, so beruhte dies nur auf ihrer Aufgabe, Jerusalem zu erobern und die Frauen, Kinder und nicht kämpfenden Männer zu schützen. Vor Gott aber waren sie alle Sünder, über alle wurde das Gericht gesprochen, sodass jeder, gleich welchen Standes, von der Frage gequält wurde, ob er nach seinem Tode in den Himmel oder in die Hölle käme.
Wenn aber Jerusalem erobert wäre, und das würde, sofern überhaupt möglich, bald geschehen, dann, ja dann hätten sie ihr Gelübde erfüllt, dann wären sie keine Pilger mehr, dann wären sie wieder Herren und Knechte, dann wäre Bernhard Graf und Herr über viele Untertanen – und sie, Alice? Ein Nichts.
Ruckartig verließ sie das Wasser und lief am Strand entlang. In ihrer Kehle würgte es. Ein Nichts. Es war wahr, sie war nichts, sie hatte nichts und sie durfte nichts. Von ihrem Unglück erschreckt, fuhr sie sich über das Gesicht.
Sie musste nachdenken. Was geschähe nach der Eroberung Jerusalems?
Bernhard hatte sie gewarnt an jenem Tag in Ikonion, noch bevor sie ihren Sohn zeugten, er werde Alice niemals heiraten. Merkwürdig, überlegte Alice, so oft hatten sie beieinander gelegen, und doch hatte sie dieses eine Mal deutlich empfunden, dass sie schwanger würde. Aber all dies war jetzt unwichtig. Bernhard war Graf und sie war nicht adelig, das allein zählte. Selbst wenn Bernhard es gewollte hätte, so wäre eine Heirat unmöglich. Das war das Verwirrende, sie dachte an eine Ehe, obwohl schon der Gedanke an sich undenkbar war. Es kam zwar bisweilen vor, dass ein freier Mann eine unfreie Frau heiratete um den Preis, dass er selbst seine Freiheit aufgab, aber dass ein Graf auf seinen Adelstitel, seine Privilegien und auf sein Lehen verzichtete aus Liebe, das war ausgeschlossen. Es wäre eine Schande, Bernhard würde sich vor dem gesamten Adel des Abendlandes und des Morgenlandes lächerlich machen, er würde zum Gespött der Bauern, seiner früheren Vasallen. Durfte sie das wünschen? Durfte sie wünschen, dass Bernhard erniedrigt würde? Verbot das nicht ihre Liebe zu ihm?
Eine Liebe, die keinen Bestand hätte, denn welche Reize könnten ihn auf Dauer so locken und binden, dass er alles, seinen Ruhm, sein Ansehen, seine Burg, sein Lehen für die Liebe hingäbe, um irgendwo mit ihr in Armut und Schande zu leben.
Nein, es war sowieso sinnlos, darüber nachzudenken, denn Bernhard war niemals, zu keinem Zeitpunkt ihres Glückes, auch nicht, wenn sie sich unter dem Sternenhimmel vereinigten, davon abgewichen, eine reiche, schöne, adelige Frau heiraten zu wollen. Genau das würde Bernhard jetzt, nachdem er sein Lehen erhalten hätte, anstreben. Und Alice war sich sicher, dass Bernhard in Gedanken schon jede einzelne Erbtochter Europas in Erwägung gezogen und geprüft hatte, inwiefern sie als Gattin für ihn infrage käme.
Das tat weh.
Wenn aber Bernhard heiratete, was würde aus
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