Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Hörner, das Lager sollte zum Weitermarsch nach Jerusalem abgebrochen werden.
Beide erhoben sich, sammelten die Essensreste in einen Korb. Alice nahm ihr Kind auf den Arm.
»Zu welchem Heer gehörst du denn jetzt?«, fragte sie.
»Zu dem des Grafen Raimond von Toulouse. Ich bin so lange mit Bischof Adhémar bei seinem Heer gewesen, dass ich jetzt nicht mehr so kurz vor Jerusalem zu Gottfried zurückwechseln will. Außerdem bezahlt der Graf seine Truppen besser. Ich habe fast kein Geld mehr, obwohl der Abt mich reichlich damit versorgt hatte.«
Alice schwieg darauf. Schwer wog das Geld, das sie von eben diesem Abt erhalten und unter ihrem Rock verborgen hatte, schwer wog es auf ihrer Seele, dass sie während der Hungersnot in Antiochia davon genommen hatte, wenn auch nur wenig. Nun wäre der geeignete Augenblick, es hervorzuholen. Sie aber schwieg. Sie schwieg so lange, dass es Martin unangenehm wurde. Er sagte, um die Stille zu unterbrechen:
»Seit Tripolis gehört eine Frau zu seinem Heer, sie ist eine der freigelassenen christlichen Gefangenen. Stell dir vor, sie trägt nur Männerkleidung und hat jahrelang unerkannt als Mann in Konstantinopel gelebt. Es heißt, dass sie im Bogenschießen jedem Mann an Kraft, Geschicklichkeit und Zielsicherheit gleichkommt.«
»Eine Frau wie ein Mann?«, fragte Alice zurück.
Endlich im Gelobten Land!
Endlich im Heiligen Land!
Endlich im Lande Jesu Christi!
Trotz der unglaublichen Geschwindigkeit, mit der die Pilger Tyros, Akkon und den dicht bewaldeten Karmelberg von Haifa hinter sich gelassen hatten und am Meer entlanghetzten, die meisten zu Fuß, den Pilgerstab in der Hand, zerlumpt, müde, erschöpft, fielen sie immer wieder auf die Knie, um den staubigen, grauen, körnigen Sand zu berühren und zu küssen, auf dem Jesus gegangen sein mochte. Andächtig schöpften sie Wasser aus Brunnen, die schon zur Zeit Jesu erbaut worden waren, und tranken das kühle Wasser, mit dem Jesus selbst sich gelabt hatte. Es schien den Müden, Entkräfteten wie das Wasser des Lebens, von dem der Herr gesprochen hatte. Lobpsalmen singend, priesen besonders die Armen aus dem Fußvolk Gott für seine Güte und Gnade, dass er sie bis ins Heilige Land geführt hatte und Jerusalem nun schon so nahe war. Es erschien ihnen wie ein Wunder, dass die Menschen in Palästina zumeist Christen geblieben waren, trotz der jahrhundertelangen Demütigung durch die Sarazenen. Einheimische, meist arme Bauern, strömten herbei, um die Pilger zu sehen, zu bestaunen, die aus dem Westen seit drei Jahren zu ihnen unterwegs waren, die ihre Heimat verlassen, Tote begraben und betrauert, die Kälte und Hitze, Kämpfe, Wunden und Armut auf sich genommen hatten, um sie vom Joch der Fremdherrschaft durch die Araber, durch die Seldschuken und nun durch die Fatimiden zu befreien. Glocken ertönten, soweit es noch Kirchen gab und die Glocken nach 400 Jahren Verbot überhaupt noch läuten konnten. Eine Frau, so jung wie Alice, lief den Abhang zum Strand hinunter, ergriff ihre Hand, drückte und streichelte sie und vergoss Freudentränen. Alice sprang von ihrem Pferd und umarmte die Frau und weinte, weinte so sehr wie lange nicht, und sie wusste nicht, ob aus Kummer oder aus Freude. Denn sie fürchtete sich vor der Schnelligkeit, mit der sich das Heer Jesu Christi Jerusalem näherte. Sie fürchtete sich, seitdem sie morgens Haifa verlassen hatten und am Abend schon Caeserea erreichen wollten, um dort das Pfingstfest zu feiern. Sie fürchtete sich, seitdem Bernhard am Morgen beim Aufbruch zu ihr geritten kam, um ihr mitzuteilen, dass sein Vater tot sei und er die Lehnsfolge antreten werde. Es sei ein erbliches Lehen.
»Natürlich muss ich trotzdem Heinrich um die Investitur bitten und das diutsche landt ist weit«, setzte Bernhard bedauernd hinzu und schickte sich an fortzureiten.
Woran sein Vater denn gestorben sei, konnte Alice ihm noch gerade nachrufen.
»Am Schlangenbiss!«, rief er zurück, besann sich aber, dass sein Verhalten unschicklich sei, wendete sein Pferd und ritt nahe an Alice heran. »Mein Vater ist mehrmals von einer Schlange gebissen worden.«
Damit war er fort bei Balduin von Le Bourg und den anderen Rittern, mit denen er die meiste Zeit verbrachte.
Der Schrecken saß tief. Bernhard würde die Grafschaft der Baerheims erhalten. Er wäre Herr über unzählige unfreie Bauern, er würde nun wie sein Vater die Gerichtsbarkeit über seine Vasallen ausüben. Bernhard war mit einem Male ein mächtiger Mann,
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