Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
ihr Vater sich von den armen Städtern aus Regensburg und aus Passau sowie von den vielen unfreien Bauernsöhnen, die das immer knapper werdende Land kaum noch ernähren konnte und die sich ein Auskommen in Jerusalem oder Beute erhofften und natürlich auch die Vergebung ihrer Sünden. Ihr Vater aber war ein freier Mann und reich an Gütern gewesen.
In diesen endlos langen Tagen, in denen sie die monotone Landschaft durchquerten, beobachtete Alice mit Besorgnis, dass der Vater von Tag zu Tag melancholischer wurde. Bisweilen fluchte er kaum hörbar, verwünschte seinen Bruder, bekreuzigte sich darauf erschrocken.
Ansonsten klagte er über Zahnschmerzen. Das allerdings fand Alice noch beunruhigender als die Sorge um das Seelenheil, denn diese hatten die Eigenschaft, immer stärker zu werden und schlimmstenfalls, wenn es zu eitrigen Entzündungen kam, zum Tode zu führen. Alice nahm sich vor, in Mangjeloz, wo sie einige Tage Aufenthalt haben würden, um neue Verpflegung aufzunehmen, Aloe und Myrrhe zur Milderung der Schmerzen zu kaufen.
Mangjeloz war ein einziger Markt. Hunderte von Händlern hatten schon ihre Stände aufgebaut und erwarteten die Pilger. Alice atmete auf. Bunte, mit Waren überladene Stände statt dieser ewigen Eintönigkeit der Steppe und der Wälder, in denen sie nachts Wölfe heulen hörte.
Zwar befürchtete der ungarische König offenbar gewaltsame Zwischenfälle und hatte deswegen seine sowieso schon schwer bewaffneten Wachen verstärkt. Auch hielt der Herzog von Bouillon es für durchaus denkbar, dass die Armen die Gelegenheit nutzen und plündern würden, sodass sie vermehrt von Fußsoldaten bewacht wurden. Doch wirkten diese Vorsichtsmaßnahmen sich überraschenderweise nicht sonderlich auf Alice’ Wohlbefinden aus, sie fühlte sich frei. Ihr Vater erlaubte es ihr, auf dem Markt umherzuschlendern, sich Stoffe und feine Tuche anzusehen, zu kaufen, was ihr nützlich oder gar nur schön erschien.
Auch Martin pfiff ein Lied und machte sich mit Markus daran, die Köstlichkeiten und Herrlichkeiten zu beschauen. Markus, der vom Kloster mit Geld ausgestattet worden war, gab seinem Freund ein üppiges Mahl aus. Alice sah die beiden vor einer Schenke sitzen und wunderte sich wieder einmal, dass Markus Mönch geworden war. Offenbar kannte der Abt die Lebensbedürfnisse des jungen Bruders genau und hatte ihn um seiner Abenteuerlust willen ziehen lassen. Es war, wie es war, und an den Abt wollte sie jedenfalls jetzt einmal nicht denken.
Ebenso wenig wie ihr Vater. Kaum war aus der Ferne Mangjeloz zu sehen, kaum erblickte er von Weitem die Kaufleute, so geschah das Wunder, die Zahnschmerzen verflogen im Nichts. Karl wurde heiter und froh und er nahm sich vor, hier schon das große Geschäft abzuschließen. Alles sprach für diesen Handelsplatz: die Auswahl der Waren und der Umstand, dass sie nicht noch eine weitere Grenze überschritten hatten. Der Weg von Ungarn nach Passau war ziemlich kurz und die Waren könnten ohne lange Zeitverzögerung und damit ohne Schäden transportiert werden.
Mit diesem Vorsatz sah sich Karl um. Und tatsächlich, in einer Seitengasse dufteten ihm Gewürze entgegen: Pfeffer, Safran, Kümmel, Ingwer. Der Händler begrüßte ihn höflich und verhielt sich angenehm zurückhaltend, was Karl für ein gutes Zeichen hielt. Erst als er von Karl dazu aufgefordert wurde, begann er, sachkundig die Qualität der Gewürze zu erklären. Im hinteren Anbau seines Ladens lagerten die Fässer, in denen die Waren auf den Wagen verladen werden könnten. Karl fand sie in einem hervorragenden Zustand, trockenen Transport gewährleistend, seinen eigenen Fässern durchaus vergleichbar. Den Gedanken schob er schnell beiseite.
Der Kaufmann nannte einen Preis. Karl überschlug die Summe im Vergleich zu der Menge Geld, die sie unbedingt für die weitere Pilgerfahrt nach Jerusalem benötigten. Die Forderung erschien ihm zu hoch, die Kosten bis Jerusalem bedenkend, im Hinblick auf den Wert der Waren jedoch angemessen und annehmbar. Der fremde Kaufmann ermunterte, forderte Karl auf, die Gefahren noch einmal in Ruhe zu durchdenken, bevor er einen Kauf abschloss. Mit einer Anspannung, die sich seines ganzen Körpers bemächtigt hatte, verließ Karl das Handelshaus. Er war begeistert von der Ware, nahm sich jedoch vor, genau nachzurechnen, ob eine so hohe Geldausgabe eine zu große Belastung für ihn und Alice darstellte. Schließlich war er davon ausgegangen, dass sie das gesamte Geld im Laufe des
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