Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Menge hineinschießen.
Bloß nicht drüber nachdenken.
Es ging jetzt nur darum, Olivier sicher um Jerusalem herumzuführen.
Merkwürdig, überlegte Alice, dass ausgerechnet sie sich Oliviers annehmen sollte. Aber natürlich, Markus, der ihn sonst versorgte, ging zusammen mit den Priestern, Martin und Bernhard bei den Rittern, Achard und alle anderen, mit denen er das Zelt geteilt hatte, waren tot.
»Aufgepasst!«, schrie Alice und riss Olivier zurück. »Eine Schlange. Da aus dem Geröll ist sie herausgeschossen. Eine Viper«, bemerkte sie, während sie fasziniert und angeekelt beobachtete, wie das giftige Reptil sich davonschlängelte.
»Warum bleibst du stehen?«, rief ein Pilger hinter ihr.
Entschlossen fiel Alice wieder in den Rhythmus zurück und geleitete Olivier langsam und vorsichtig durch das Josaphat-Tal und den Ölberg hinauf bis zum Grab der Heiligen Jungfrau, wo die Bischöfe predigten.
»Brüder und Schwestern!
Ihr wisst, warum wir diese Pilgerfahrt unternommen, was wir gelitten haben.
Dennoch, wir haben unseren HERRN auf verschiedenste Weise betrübt. Nun haben wir drei Tage gefastet und stehen barfuß an dem Ort, von wo aus unser Herr Jesus Christus in den Himmel gestiegen ist zur Vergebung unserer Sünden.
Wir können nichts mehr tun, als demjenigen zu vergeben, der uns in diesen drei Jahren irgendein Unrecht getan hat, damit unser HERR uns vergibt.«
Alice blieb fast das Herz stehen, sie japste nach Luft, dachte an Martin und fühlte genau, dass auch er an sie dachte. Sollten, müssten sie sich versöhnen? Aber wie?
Sollte sie zu ihm gehen und ihn um Verzeihung bitten, dass Rab tot war und sie ihm sein Geld so lange vorenthalten hatte? Dürfte sie überhaupt zu ihm gehen, zu ihm, einem Ritter, Sohn eines Fürsten? Zorn stieg in ihr auf. Wut. Zu Beginn der Pilgerreise war Martin ihres Vaters Knecht. Und mein Freund, dachte sie wehmütig.
Alice hatte Oliviers Hand losgelassen, der ganz still neben ihr stand. Sie nahm sich zusammen.
»Gibt es jemanden, mit dem Ihr Euch versöhnen möchtet?«
Olivier schüttelte den Kopf. »Ich habe jeden Tag gebetet, dass ich keinen Abend zu Bett gehe, ohne den Streit behoben zu haben. Unser Herr Jesus Christus war mir gnädig.«
Um Gottes willen, ein unschuldiger Mensch, durchfuhr es Alice und sie wich einen Schritt von Olivier zurück.
»Achtung«, hörte sie hinter sich Martin sagen.
Verlegen stand er vor Alice, wartete. Nicht sie war die Schuldige oder nicht nur sie, sondern auch er.
»Weißt du«, sagte Martin endlich. »Nach Theresas Ermordung habe ich geglaubt, niemand sei so hart getroffen wie ich. Kein Tod konnte furchtbarer sein. Ich habe mit niemandem mitleiden können. Und Hanno war ja nur ein Kind.«
Alice sah ihn entsetzt an.
»Verzeih, aber Kinder sind meistens in den Augen der Erwachsenen nicht viel wert.«
»Was redest du da? Soll das eine Versöhnung sein?«
»Nein, das wollte ich gar nicht sagen. Theresa ist mir in der Geburtsgrotte in Bethlehem erschienen. Und sie hat mir prophezeit, dass derjenige bald sterben wird, den ich am meisten liebe. Nun weiß ich, es war Rab, aber kein Mensch. Ich glaube, das ist Sünde, vielleicht ein Fluch, dass mir die Menschen, dass du mir so fremd geworden bist und dass ich deine Trauer um Hanno nicht achten konnte.«
»Ein Fluch?«
»Kein Fluch, ich erlebe es aber immer noch als Fluch.«
»Ich muss dich auch um Verzeihung bitten«, sagte Alice. »Zuerst habe ich dir von dem Geld nichts gesagt, weil der Abt selber es nicht wollte. Nur in der Not sollte ich es dir geben. Du brauchtest es ja dann auch nicht, weder bei Bischof Adhémar noch wirklich bei dem Heerführer Raimond, der immerhin deinen Sold zahlt. Ich habe immer gedacht, vielleicht brauche ich es für Hanno. Wirklich, nur für ihn – nicht für mich.«
»Ist schon gut«, beschwichtigte Martin seine Vertraute aus Kindertagen.
»Ich muss dir noch etwas sagen. Etwas vom Abt.«
Martin sah sie gespannt an. Irgendwie freute er sich.
»Vor unserem Aufbruch hat er rätselhafte Worte gesprochen: ›Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.‹ Damals habe ich den Satz nicht verstanden …«
Martin nickte. »Er, der Abt, also mein Vater«, flüsterte Martin ihr ins Ohr, »er meinte …«
»Wir sollten auf der weiten Pilgerreise zusammenhalten, auch wenn es schwer würde«, ergänzte Alice auch für Olivier hörbar.
Beide waren sehr verlegen.
»Weißt du denn, was du machen willst, falls wir Jerusalem erobern?«,
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