Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
ihren Schwager gehängt, der mit seiner Lieblingsfrau Fatima am Arm voranschritt, seiner vierten Frau, einer ganz jungen, fast noch ein Kind, die ihm aber schon einen Sohn geboren hatte. Die zweite und dritte Frau gingen teilnahmslos hinterher, vermutlich ganz zufrieden, dass er sie in Ruhe ließ, während sich die erste Frau mit Kopfschmerzen daheim im Palast hingelegt hatte. Hatixhe hatte sich also ausnahmsweise zu ihrem Schwager gesellt und ihre Befürchtung hervorgedruckst, die Christen könnten womöglich doch Jerusalem erobern.
Er hatte nur hämisch gelacht und sie vorwurfsvoll und verächtlich angeschaut. Auch die Schwägerin hatte ihr hinter ihrem goldrosa Schleier böse Blicke zugeworfen. Doch auf Hatixhes Drängen hatte er sich herabgelassen, ihr genau auseinanderzusetzen und ihrem Stumpfsinn nachzuhelfen, warum die Christen auf keinen Fall die Stadt einnehmen könnten. Hatixhe sollte bedenken, dass sie, die Ägypter, Jerusalem vor einem Jahr nur nach wochenlangem Beschuss mit unzähligen Belagerungsmaschinen eingenommen hätten. Diesem Bombardement hätten die Türken in der Stadt auf Dauer nicht standhalten können, besonders als die Mauern zertrümmert waren. Die seien aber inzwischen wieder aufgebaut.
Die Christen hätten jedoch nur wenige Belagerungsmaschinen und nur zwei Belagerungstürme. Gegen den des Grafen Raimond von Toulouse im Süden, er lachte, es sei schon witzig, dass man vor eineinhalb Jahren gemeinsam mit den Christen gegen die Türken am See von Antiochia gekämpft habe, also gegen den Belagerungsturm des Grafen von Toulouse seien acht schwere Katapulte gerichtet. Wenn der nun seinen Turm an die Mauer heranschiebe, dann werde der mit aller Sicherheit vollkommen zertrümmert.
Und Herzog Gottfried, der sei ein Idiot. Nein, er hätte in Antiochia wirklich nicht gedacht, was das für ein Idiot sei. Baut der doch seinen Belagerungsturm und seine Katapulte genau vor dem uneinnehmbaren quadratischen Turm auf, einer Festung ohnegleichen, die mit Matten und Sandsäcken bestens geschützt wäre. Abgesehen davon, dass von dem Turm aus die Belagerungsmaschinen der Christen fast mühelos beschossen werden könnten.
»Und wenn doch?«, hatte Hatixhe einzuwenden gewagt.
Verärgert hatte der Schwager sich weggedreht, sich dann aber doch noch einmal umgewandt und triumphierend gesagt: »Dann haben wir noch unsere Wunderwaffe.«
Aber an eine Wunderwaffe glaubte Hatixhe nicht, schon gar nicht, nachdem dieser Herzog Gottfried in der Dunkelheit der Nacht all seine Belagerungsmaschinen und sogar den großen Belagerungsturm den weiten Weg bis zum Herodestor transportieren und dort erst richtig zusammensetzen ließ, eine Kriegslist, wie die ägyptischen Einheiten im Morgengrauen voller Entsetzen feststellen mussten. Denn beim Herodestor war das Gelände eben, der Turm also nicht allzu schwer an die Mauer heranzuschieben, und dazu war dieser Abschnitt der Mauer bisher nicht gesichert. In Windeseile oder zumindest so schnell wie möglich hatten die Ihren versucht, die Mauer vor den Einschlägen zu schützen und die eigenen Katapulte aufzustellen. Dennoch – ein Schock war es …
Ein Schock, ein Entsetzen, das in Hatixhe nachbebte, das sie so unachtsam machte, dass sie sich in den Finger stach und ein Tropfen Blut auf die Windel fiel. Hatixhe starrte auf den roten Fleck. Und mit einem Mal, in diesem winzigen Augenblick, durchfuhr sie eine Ahnung, diese wurde zu einer Tatsache so wirklich wie das Blut auf der Windel, morgen um diese Zeit wäre sie tot.
Morgen Nacht würde sie nicht mehr sein.
Um dieses Schreckensbild abzuschütteln, stand Hatixhe auf, legte die Stickerei beiseite, blieb kurz am Fenster stehen und durchschritt den fast dunklen Raum. Nur die beiden Lämpchen flackerten und würden bald verlöschen, wenn sie nicht Öl nachgoss. Wie ihr Leben.
Noch keine 20 Jahre, dachte sie bitter. Hatixhe strich sich über das Gesicht, rieb sich die Augen. Unsinn.
Es war keineswegs sicher, dass die Christen Jerusalem eroberten, dass sie siegen würden. Viel wahrscheinlicher war es doch, dass ihre Belagerungstürme in Brand gesetzt und sie niemals die Stadtmauer erreichen würden. Aber nur mit Sturmleitern würden sie es nicht schaffen, die hohen Mauern zu erklimmen. Dem Beschuss von Brandpfeilen, Steinen und Pech könnten sie niemals standhalten, sondern würden qualvoll sterben und elendig verrecken.
Ihr Schwager hatte recht. Es gab keinen wirklichen Grund zur Sorge.
Nur, dass sie einfach nicht über
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