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Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)

Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)

Titel: Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Bohm
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dieses Morgen hinausdenken konnte. Da war eine dunkle Schranke. Hinter dem morgigen Tag, da war das Nichts. Hatixhe zog die Stirn kraus und versuchte, sich das Übermorgen vorzustellen, wie sie ein Glas Wasser trank, ihr kleines Mädchen stillte, ihrer Tochter sanft mit der Hand durch das schwarze, wuschelige Lockenhaar strich. Doch diese Bilder waren Schein, Trug, wie in Nebel gehüllt. Und mit aller Gewissheit wusste Hatixhe, sie würde morgen Abend nicht mehr sein.
    Ihre Beine wurden weich, sie nahm die Stickerei von dem Hocker und setzte sich wieder ans Fenster. Über der Stadt, über Jerusalem, lag immer noch der strenge Geruch von Feuer und Rauch.
    Die Christen würden keine Gnade kennen, dachte sie kalt und klar. Sie würden jeden umbringen, so wie es Hannah prophezeit hatte. Drei Jahre waren sie unterwegs, wie ihr Schwager kopfschüttelnd erzählte, der zur ägyptischen Delegation vor Antiochia gehört hatte.
    Dass dieses Häuflein Elend jemals das mächtige Antiochia erobern würde, damit hatte keiner der Ägypter gerechnet. Aber sie hatten es tatsächlich geschafft, sogar bis nach Jerusalem zu gelangen, unter hohen Verlusten. Vor Jerusalem hatten sie, die ägyptische Garnison von Askalon und die ägyptische Besatzung von Jerusalem, ihnen das Leben zur Hölle gemacht.
    Sechs Wochen hatten die da unten im Lager ausgehalten, ohne Wasser, in glühender Hitze und dem ständigen Wüstenwind ausgesetzt. Immer in Gefahr, überfallen zu werden auf der Suche nach einer Quelle. Wie viele Frauen und Kinder mochten dabei getötet worden sein? Wie vielen der Kopf abgeschlagen?
    Hatixhe stöhnte innerlich auf und versuchte, den Alptraum abzuwehren, der sie so oft kurz vor dem Aufwachen befiel und der sie auch tagsüber bisweilen verfolgte. Ihr Schwager hatte einmal lachend erzählt, er amüsierte sich köstlich, also er hatte erzählt, dass in der Nähe von Bethlehem ihre Elitetruppe einen Ritter mit seiner Frau und ihrem kleinen Jungen überfallen hätten. Es war zum Kampf gekommen, der Ritter war natürlich unterlegen und eigentlich wollten sie ihn umbringen und die Frau vergewaltigen und dann töten, aber dann war ihnen in den Sinn gekommen, welch ein glänzender Einfall, dass der Spaß viel größer und die Qual viel heftiger wäre, wenn sie dem Kind vor den Augen der gefesselten Eltern den Kopf abschlagen würden. Welch eine Demütigung für den Ritter, dass er ohnmächtig zusehen musste und sein eigenes Kind nicht beschützen und retten konnte. Wie Jesus, der es auch nicht geschafft hatte, vom Kreuz herabzusteigen und sich selbst zu helfen. Und die Frau, die Mutter erst einmal. Dieses Entsetzen, diesen Jammer, dieses Leid, diese Qual würde sie niemals wieder loswerden. Das abgeschlagene Haupt ihres Kindes würde sie wie eine Peitsche ihr Leben lang verfolgen und weinend würde sie nachts aufwachen. Letzteres hatte er nicht mehr gesagt, aber Hatixhe hatte es nachempfunden. Wie aber musste es diesen Eltern, diesem Ritter, dieser Frau da unten im christlichen Lager ergehen, falls sie noch lebten. Würden sie nicht mit ganzer Seele wünschen, Jerusalem zu erobern, um sich zu rächen? Würden die Gnade kennen? Würde sie, Hatixhe, an ihrer Stelle vor dem Töten, vor dem Morden zurückschrecken?
    Zorn stieg in ihr auf. Zorn auch auf sich selber. Nein, sie durfte die Christen nicht verstehen, nicht Mitleid haben. Das waren ihre Feinde, schon sich in diese Ungläubigen hineinzuversetzen, war Sünde. Und doch. Die Frau ging ihr nicht aus dem Sinn, sie war eine Christin, ja, aber das war das eine, vor allem war sie eine Mutter, die um ihr Kind trauerte.
    Und selbst wenn die Frau nicht auf Rache sann, wenn sie barmherzig sein wollte, so wie ihr Gott es vorschrieb, auch dann, so überlegte Hatixhe, war sie von einer inneren eisernen Stimme dazu gezwungen, weiter zu überlegen, auch dann mussten, ja mussten die Christen sie alle umbringen, sofern sie Jerusalem eroberten. Denn das ägyptische Heer war nicht weit, würde die nun in der Stadt eingeschlossenen Christen angreifen und belagern, töten. In der Stadt aber würden sie ebenfalls von ihren Feinden ermordet. Unmöglich für die Christen, am Leben zu bleiben, wenn sie von innen und außen angegriffen würden.
    Warum nur sah das niemand von der ägyptischen Garnison, warum nur ließ der Kommandant Iftikhar ad-Daulah die Kinder und Frauen nicht noch rechtzeitig aus der Stadt bringen? Noch heute Nacht? Das Tor zum Josaphat-Tal war frei, die Christen hatten es nie geschafft,

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