Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
tauchten immer mehr Feinde auf der Mauer auf, ließen sich nicht forttreiben. Vielmehr stopften sie zwischen die Baumstämme Stoffe mit Wachs, Pech und mit geheimen Ölen durchtränkt, stießen die gefährliche Last mit großer Anstrengung über die Mauer, genau vor den Belagerungsturm, und entzündeten sie mit Fackeln. Mit einem entsetzten Aufschrei gelang es einigen der Ziehenden, zur Seite zu springen, etliche wurden erschlagen.
»Byzantinisches Feuer!«
Das Feuer züngelte, lechzte am Belagerungsturm empor. Hast, Angst griffen um sich so schnell wie der sich ausbreitende Brand. Herzog Gottfried gab Befehle. Aus bereitstehenden Schläuchen schütteten die Ritter von oben Essig hinab. Aus dem unteren Stock des Belagerungsturms sprangen Männer auf das Flammenmeer zu und gossen Essig hinein, das einzige Mittel, die geheime Waffe zu löschen, wie ihnen die aus Jerusalem vertriebenen Christen versichert hatten. Der Qualm biss Bernhard in die Augen, er musste husten, er fühlte sich körperlich elend und gleichzeitig siegesgewiss.
Dann ließ das Feuer nach. Die Wunderwaffe wurde zu Asche.
Entsetzt, dass nichts gegen diese entschlossenen, brutalen Franken half, wichen die Angegriffenen zurück.
Das war der Augenblick! Das war der Augenblick der Illusion, der Träume, des Ausharrens, des Leidens und Sterbens, der Hoffnung, der Augenblick, wo ein Christ wieder seinen Fuß auf die Mauer von Jerusalem setzte.
Herzog Gottfried gab den Rittern im mittleren Stockwerk den Befehl, einen Balken aus der Verankerung zu lösen und ihn als Brücke zur Stadtmauer hinüberzulegen. Bernhard sah, wie Ritter Litold aus Tournai über den Balken lief und als Erster die Mauer von Jerusalem erreichte. Ohne sich zu besinnen, sprang Bernhard wie Herzog Gottfried und alle anderen Ritter in voller Waffenrüstung vom oberen Stockwerk auf die Mauer hinab.
Bernhard schloss einen winzigen Augenblick die Augen. Es war wahr geworden, er stand auf den Zinnen von Jerusalem!
Doch das Besinnen dauerte nicht lange, schnell kletterte er von der Mauer herunter und verbreitete wie die Sturmleitern erklimmenden, durch die Bresche in der Befestigungsmauer eindringenden Kreuzfahrer: Entsetzen. Chaos breitete sich aus, Panik, Flucht, Morden. Bernhard kämpfte sich durch gepflasterte Gassen und Straßen, um das am nächsten gelegene Josaphat -Tor für die Kreuzfahrer, für Alice, zu öffnen. Das Tor wurde kaum umkämpft, er schob die schweren Riegel zur Seite und stemmte das gewaltige Portal auf. Mit Wucht, wie besessen drängte sich die Masse der Frauen, Kinder, Fußsoldaten durch die viel zu enge Öffnung. Wenn Alice nur nicht tot getrampelt wird, hoffte Bernhard, während er weiter zum hart umkämpften Tempelberg hastete.
Die Kämpfe im Tempel Salomos hatten aufgehört. Der farbenprächtige, reich mit Ornamenten verzierte Marmorboden war von Blutlachen überdeckt. Bernhard versuchte hier und da auszuweichen, doch es blieb ihm nichts, als durch das Blut der getöteten ägyptischen Soldaten wie auch einiger Kreuzfahrer zu waten. Er bahnte sich seinen Weg, er stolperte über wild übereinanderliegende Leichen zum Ausgang des langgestreckten, hohen Gebäudes, durch dessen flaches Dach dumpf das Weinen von Säuglingen und Kindern, das Schreien der Frauen drang, die sich auf den Tempel geflüchtet hatten und von Tankreds Leuten bewacht wurden. Bernhard sah an sich herunter, Arme, Hände, Rüstung – alles blutverschmiert, und auch sein Gesicht musste furchtbar anzusehen sein. Es ekelte ihn vor sich selbst. Und doch spürte er die ungeheure Erleichterung, der Kampf auf dem Tempelberg war beendet, ohne dass der Kommandant von Jerusalem ihnen Schwierigkeiten bereitet hätte. Iftikhar ad-Daulah war überhaupt nicht zur Verteidigung seiner Heiligtümer erschienen. Bernhard lachte verächtlich. Die Bevölkerung von Jerusalem war von ihm schmählich im Stich gelassen, verraten worden. Irgendwann war zu Bernhard das Gerücht gedrungen, Iftikhar ad-Daulah habe sich in der Davidsburg verschanzt, sei aber schnell mit Graf Raimond einig geworden und habe gegen Auslieferung der Kriegskasse freies Geleit nach Askalon erhalten. Sogar seine Waffen durften er und seine Elitetruppe behalten. Nur die 400 prächtigen Pferde seien den Kreuzfahrern zu überlassen gewesen. Leider, der Ärmste. So viel Feigheit und Niedertracht riefen bei Bernhard nur Hohn und Spott hervor – und Hochachtung vor den einfachen ägyptischen Soldaten, die so zäh Widerstand geleistet hatten. Er
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