Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Belagerungsturm verschwand, sah ihn auf der oberen Plattform auftauchen und zu ihr herüberblicken, so hoffte sie jedenfalls. Er setzte seinen Helm auf sein schwarzes Haar und war durch nichts mehr von den anderen Rittern dort oben zu unterscheiden. Sie seufzte und führte Olivier zurück zum Zelt.
›Dich, meine Alice, sehe ich nie wieder‹, durchfuhr es Bernhard wie eine unabwendbare Gewissheit.
Dann – Bernhard fuhr zusammen, Herzog Gottfrieds durchdringende Stimme erschallte, ein Ruck ging durch den Belagerungsturm und langsam, sehr langsam setzte sich das über die Stadtmauer reichende, schwere, unförmige Gefährt in Bewegung. Auf der Rückseite wurde der Turm von unzähligen Männern mit Stangen, mit Lanzen, mit bloßen Händen geschoben, vorn aber von Hunderten von Männern an Seilen in Richtung Mauer gezogen.
Wie Schlachtvieh, dachte Bernhard und schaute zurück, wo im Hintergrund Männer bereitstanden, um die Verwundeten, die Toten zu ersetzen, bis auch sie getroffen würden. Obwohl sie sich mit Schilden, mit Holzflanken zu schützen suchten, es half ihnen wenig. Mönche begleiteten sie und trugen die verletzten, blutenden Männer, die Leichen ins Lager. Und schon reihten sich Unerschrockene, verzweifelt Entschlossene in die Menge der Ziehenden ein, um unter Schweiß und Verwundung und Tod den Turm über Sand und Steine ein wenig weiterzubewegen. Der Turm wurde unaufhörlich beschossen, Steine und Felsbrocken prallten an dem dichten Flechtwerk ab, Feuerpfeile rasten gegen Balken und Wände, die am nassen Leder hinunterglitten.
Um Bernhard herum Schreie, Verwundete, Bogenschützen, deren Kleidung Feuer fing, Priester, die Leitern nach vorne schleppten, die, von einem Brandpfeil getroffen, in Flammen standen, Lärm, das Aufprallen der eigenen Geschosse gegen die Befestigungsmauer – und die Enttäuschung, dass die schweren Steine dennoch keinen wirklichen Schaden anrichteten, denn die Mauern waren geschützt mit dickem Geflecht, mit Säcken, gefüllt mit Stroh und Streu und Baumwollpolster. Zwischen den Kämpfenden und Verwundeten und Toten liefen Kinder und Frauen umher, sammelten Pfeile und Steine auf, brachten Wasser, wurden getroffen wie Alice gestern.
Auf dem Belagerungsturm war es mörderisch. Viel zu langsam holperte der Turm unter ständigem Beschuss auf die vom Widder zerstörte äußere Befestigungsmauer zu. Vom Aufprall der schweren Steine schwankte der Turm, Balken krachten und wurden wieder notdürftig mit Seilen festgebunden. Ungeschützt kämpfte Bernhard gegen die Zeit, gegen die Hitze, gegen den Durst, vor allem gegen die Übermacht der feindlichen Geschosse, die in Pech getunkten, mit Baumwolle umwickelten Brandpfeile, die mit Nägeln gefüllten Baumwollsäcke, die mit Feuer gefüllten Töpfe, die schweren Steingeschosse. Wieder raste ein Stein auf sie zu, direkt auf Herzog Gottfried, der, hoch aufgerichtet neben der Christusstatue, seine Befehle gab. Doch das Geschoss verfehlte sein Ziel, traf den Ritter genau neben Bernhard, zertrümmerte ihm den Kopf, das Blut spritzte, das Gehirn spritzte Bernhard ins Gesicht. Ihm wurde schlecht, mit dem Handrücken wischte er sich das Blut, den Schleim aus Augen und Nase, spuckte die ekelige Masse aus. Der Tote wurde zur Seite geschafft. Aus dem eigenen Katapult hoch oben auf dem Belagerungsturm wurde wieder geschossen, über die Mauer in die Stadt hinein. Bernhard richtete aus dem Feuer gezogene Pfeile gegen Säcke an der Mauer. Unter Jubel gingen sie in Flammen auf, vertrieben die Bogenschützen. Doch nicht lange, denn schon schossen sie aus dem nahe gelegenen Befestigungsturm ihre brennenden Pfeile ab.
Verwundung, Tod überall. Nur noch siegen oder sterben. Siegen hieß kämpfen – also kämpfen. So empfand Bernhard, so empfanden es alle. Drei Jahre umsonst? Durch hier – wie auch immer.
Dann, war es schon Nachmittag?, zogen ihre Männer den Turm durch den engen Spalt der äußeren Befestigungsmauer. Ein Aufatmen, fast nur noch einen großen Schrittbreit waren sie von Jerusalem entfernt.
Da brach Entsetzen bei den Belagerten aus. Sie riefen sich etwas zu, was Bernhard als ›Wunderwaffe‹ deutete. Um alles in der Welt wollten sie verhindern, dass die Christen auf die Stadtmauer gelangten. Trotz des Qualms der schwelenden Säcke hievten sie gewaltige Baumstämme, die durch eine starke Eisenkette miteinander verbunden waren, auf die Brüstung.
Bernhard schoss ab, wen immer er durch den Rauch hindurch sehen konnte.
Dennoch. Es
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