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Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)

Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)

Titel: Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Bohm
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über das holprige Pflaster in die Stadt.
    Alice blieb stehen und atmete tief durch.
    Endlich wieder in Passau! Die dicht gedrängten Häuser, der Brunnen, die gedrungene Kirche St. Paul, sie waren ihr so vertraut. Mit geschlossenen Augen könnte sie den Steinweg zum Stephansdom hinaufgehen.
    Nichts schien sich verändert zu haben. – Alles hatte sich verändert.
    Wie sehr hatte es sich Alice in den vergangenen Jahren gewünscht, einmal wieder unbeschwert in die Stadt hineinzulaufen, heimzukommen. Jetzt aber lebten in ihrem Kaufmannshaus fremde Menschen. Sie selbst stand am Christtag verloren in ihrer Heimatstadt als Bettlerin.
    Wohin?
    Alice traute sich nicht, zu ihrem Vaterhaus zu gehen. Allein die bloße Vorstellung des vertrauten hohen Gebäudes, das sie nicht mehr betreten durfte, bedrängte und ängstigte sie.
    »Komm, Leyla«, sagte sie und zog das bibbernde, an Hunger und Kälte gewöhnte Mädchen den Weg hinauf zum Dom. Leyla klagte nicht, vielmehr ließ sie Alice’ Hand los und lief jubelnd über den weiten mit Schnee bedeckten Platz auf den Stephansdom zu, dessen wuchtige Türme in den winterlichen Himmel ragten. Es hatte aufgehört zu schneien. Ein Streifen von rötlichem Licht ließ die schmalen, hohen Fenster der Herrschaftsempore erglühen. Vor dem großen steinernen Löwen am Eingangstor der Kirche blieb Leyla stehen und betrachtete das gefährlich aussehende Tier. Alice näherte sich langsam, fühlte die Frostbeulen an ihren Füßen, die juckten und schmerzten, schaute auf und sah die kleine Gestalt des Kindes vor der Basilika. Alice schwindelte. Das Bild verschwamm, das wuschelige schwarze Haar des Mädchens, das unter der bunten Mütze hervorlugte, verwischte sich mit dem schwarzen wuscheligen Haar eines kleinen Jungen unter einem Pilgerhütchen.
    »Hanno!«, rief Alice verzweifelt und wischte sich über die Augen. Das Trugbild verschwand. Alice hätte weinen mögen.
    Sie schüttelte sich, sie nahm sich zusammen, trat zu dem Kind, legte ihre Hand auf das steinerne Tier und erklärte:
    »Löwe. Das ist ein Löwe.«
    Leyla strich vorsichtig über sein Maul mit der heraushängenden Zunge und lachte vergnügt.
    Alice nahm die Kleine wieder an die Hand. Sie schaute sich noch einmal um und warf einen wehmütigen Blick auf den weiten Platz, von dem aus so viele Passauer nach Jerusalem aufgebrochen waren. Kaum jemand von ihnen käme zurück.
    Sie seufzte, überwand sich, fand den Mut, zu ihrem Vaterhaus zu gehen.
    Im Hof brannten Fackeln. Das Wohnhaus war hell erleuchtet, nur die Lagergebäude wirkten dunkel und verlassen. Es duftete durch die mit Tierhäuten verhangenen Fensterhöhlen nach Gänsebraten und frisch gebackenem Brot. Vom Stephansdom setzte Glockengeläut ein und hallte über die Stadt. Die Türen und Tore ihres Vaterhauses und der Nachbarhäuser öffneten sich, Mägde und Knechte trugen Fackeln und Laternen. Hinaus traten Kaufleute, Kaufmannsfrauen, die Freundinnen ihrer Kindheit, gekleidet in dicke wollene Stoffe und Pelze. Keiner beachtete die ärmliche Gestalt, die vor den festlich geschmückten Gebäuden der Schar der Kirchgänger im Wege stand. Plaudernd und lachend eilten die jungen Frauen am Arm ihres Gatten an Alice vorüber.
    Alice konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Lautlos flossen sie ihr über die Wangen.
    »Mutter, Vater! Was habt ihr mir angetan?«, schluchzte sie.
    »Hunger«, ließ sich eine kleine Stimme hören.
    Entschlossen wandte sie sich um und ging mit Leyla an der Hand durch den Schneematsch die Gasse zur Donau hinunter.
    Jetzt sich in die Menge der Bettelnden einreihen, die geduldig vor dem Kloster Niedernburg auf eine Suppe warteten?
    Dabei würden die Nonnen sie gewiss nicht verachten, sondern sie und das fremdländische Kind aufnehmen wie jeden Armen, wie Jesus Christus selbst. Trotzdem, niemals hätte Alice erwartet, jemals auf die Mildtätigkeit der Benediktinerinnen angewiesen zu sein. Noch war sie nicht so weit, auch in ihrer Heimatstadt wie sonst in den letzten Monaten immer in einem Kloster um Essen und einen Schlafplatz anzustehen.
    Leyla konnte und mochte nicht mehr laufen. Und so trug Alice das Kind am Fluss entlang zu ihrer liebsten Stelle, zur Landspitze, dorthin, wo Donau, Inn und Ilz zusammenflossen und die Eisschollen krachend zusammenstießen.
    Der Ort, das dunkle Wasser, der Mond über den bewaldeten Hügeln brachte keinen Trost. Leyla zupfte die zur Eissäule erstarrte Alice an ihrem Umhang und klagte erneut:
    »Hunger.«
    Alice fasste

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