Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Martin besorgt.
»Dein Pferd wird sogleich versorgt werden.«
Mit diesen Worten schritt der Mönch in seiner schwarzen Kutte voran, Martin folgte ihm taumelnd in ein dunkles Tonnengewölbe.
Der Mönch gebot Martin, einen Augenblick zu warten, er werde ihn sogleich melden.
Zitternd sackte Martin auf eine Bank. Er fühlte die Kälte des Steinfußbodens. Dunkel war es, fast schwarz, nur zwei Fackeln brannten und warfen bizarre Bilder gegen die Wände.
So sieht der Tod aus, durchfuhr es Martin. Die Wartezeit erschien ihm ewig.
Endlich öffnete sich die schwere, dunkle Eichentür an der Rückwand des Raumes. Dort war es so finster, dass die Umrisse des sich ihm nähernden Mannes wie Schatten wirkten. Sein Gesicht hatte er unter der Kapuze verborgen. Er kam allein, ohne den Pförtner und ohne die Brüder, die sonst Gäste zu begrüßen pflegten.
Martin stand auf und wollte auf ihn zugehen, um seine Ehrerbietung zu zeigen. Doch er merkte, wie er torkelte und tastete schwindelnd nach der Bank.
Da warf sich der Mönch in Kreuzesform vor Martin zu Boden.
Martin rang nach Fassung.
Er wünschte, der andere möge aufstehen.
Als sich der Mönch aber erhob, erkannte Martin ihn:
Es war der Abt.
»Gelobt sei Jesus Christus«, grüßte er den Jungen.
»In alle Ewigkeit. Amen«, stotterte Martin.
»Du bist krank, mein Sohn. Ich werde dich zu einer eigenen Zelle führen. Auf dem Weg dorthin werden wir schweigen, denn es ist die Zeit nach der Komplet, in der niemand mehr sprechen darf.«
Martin nickte. Es war ihm nur recht, dass er nichts sagen durfte. Denn obwohl ihn das Fieber schüttelte, grübelte er darüber nach, warum wohl gerade eben so etwas Außergewöhnliches, etwas geradezu Erschreckendes geschehen war. Es mochte ja zu der Benediktinerordnung gehören, dass sich ein Hoher vor einem Geringen in Kreuzesform niederwarf, aber so, wie Martin den Abt bisher kennengelernt hatte, tat er es gewiss nicht vor jedem und hatte es vielleicht überhaupt noch niemals getan.
Beide traten in sich gekehrt aus der dunklen Halle in die Nacht hinaus. Der Weg zum Spital war weit. Der Jüngere, von dem Älteren gehalten, wurde an der Abteikirche entlanggeführt, die mächtig und dunkel inmitten der Klosterbauten thronte. Immer wieder mussten sie stehen bleiben, weil Martin nicht weiterkonnte. So kamen sie nur langsam an der Schule, der Abtwohnung, der Schreibstube und Bibliothek vorbei bis ans entgegengesetzte Ende des Klosters. Dort lag das Spital für die Armen und Kranken aus der Stadt und der Umgebung. Der Abt führte Martin durch eine Halle, in der ein Kaminfeuer loderte. Die Flammen warfen tanzende Lichter an Wände und Säulen. Im Mittelpunkt des weiten Raumes, von allen Betten aus sichtbar, hing ein großes Kreuz. Trotz des hohen Fiebers erkannte Martin, dass jeder Kranke ein eigenes Bett und eine Federdecke hatte. Nach all dem Schmutz und Dreck der vergangenen Wochen erschien ihm diese fürsorgliche Reinlichkeit paradiesisch zu sein. Schweigend durchquerten der Abt und Martin den Raum, gefolgt von wenigen neugierigen Blicken. Die meisten Männer schliefen bereits, einige schnarchten.
Der Abt aber öffnete eine dunkle Holztür und führte Martin in eine kleine Krankenzelle, die für Schwerkranke vorgesehen war. Auch hier hing dem Bett gegenüber ein Kreuz.
Ein Mönch war eben damit beschäftigt gewesen, die Zelle zu heizen, er verneigte sich stumm und ging. Der Abt entband Martin vom Schweigegebot und forderte ihn auf:
»Wir werden jetzt zusammen ein Gebet sprechen.« Martin sank aufs Bett, während der andere vor dem Kreuz niederkniete.
Trotz des Fiebers verwunderte es Martin, dass der Abt ihm Hände und Füße wusch. Nur undeutlich stand ihm das Gebot Jesu Christi vor Augen, dem Niedrigeren zu dienen.
Wenige Augenblicke später erschien ein weiterer Mönch, der als Wundarzt ausgebildet war und vom Abt als Bruder Laurentius vorgestellt wurde. Während dieser die Wunde untersuchte, hielt der Abt eine Kerze, deren flackernder Schein das ernste Gesicht des Mönchsarztes betonte. Wider besseres Wissen stellte der Abt die Frage: »Genügt heißer Wein?«
Der Ältere, in der Heilkunde Erfahrene, schüttelte den Kopf. »Wir werden die Wunde mit Silbernitrat säubern.«
»Was ist das, Silbernitrat?«, fragte Martin verunsichert.
»Höllenstein«, antwortete der Arzt. »Die Anwendung ist schmerzhaft und auch gefährlich. Ich sehe aber keine andere Möglichkeit.« Er nestelte in seinem Beutel und nahm einige Steinchen in die
Weitere Kostenlose Bücher