Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
ich die Verantwortung übernommen und muss vor Gott dafür Rechenschaft ablegen.«
Er lächelte Martin aufmunternd zu. »Auch du bist mir von Gott geschickt und ich muss dafür sorgen, dass du wieder kräftig wirst. Ich werde dir jetzt einige Übungen zeigen, die du mit Eifer ausführen musst. Ich selbst werde täglich einmal zu dir kommen und mich von deinen Fortschritten überzeugen. Steig einmal von deinem Lager. Deine Beine sind ja noch ganz wackelig. Du wirst sehen, das wird sich schnell ändern.«
Martin vergaß über dem Anspannen seiner Muskeln seinen Schmerz. Als er wieder im Bett lag und der Abt schon zum Türring griff, sagte dieser:
»Du hast recht gedacht, Martin. Kirchenraub ist Gottesraub. Ich werde statt deiner das Kreuz zur Gräfin Gertrude bringen. Der Weg zu ihrer Burg wäre für dich eine unnötige Zeitverzögerung.«
Bruder Thaddäus erwies sich als freundlicher, liebevoller Pfleger, der dem Genesenden vor allem durch sein besonderes Talent half. Bruder Thaddäus konnte durch seine Geschichten bestens unterhalten. Da Martin nicht mehr krank, jedoch auch noch nicht gesund war, neigte er zu Reizbarkeit, Ungeduld und Unwillen und bedurfte der Ablenkung.
Zusehends ging es Martin von Tag zu Tag besser. An einigen Gottesdiensten zu Weihnachten hatte er schon teilgenommen, frisch dem Badezuber entstiegen, der in dem an seine Krankenkammer anliegenden Badehaus stand. Bruder Thaddäus hatte ihm die Haare geschnitten, ihn rasiert, seine Kleidung hatte er gereinigt und ihm wohlduftend wieder übergeben.
Der Abt erschien täglich, um sich nach Martins gesundheitlichen Fortschritten zu erkundigen und ihn auch im Griechischen zu unterweisen. Einmal sah er den Abt von Weitem auf einem seiner Genesungsspaziergänge. Es war fast am Eingangstor des Klosters, dort wo die Armen ihre Herberge hatten. Aus einer Gruppe zerschlissen aussehender Männer lösten sich zwei, fielen auf die Knie, ergriffen den Saum der Kutte des Abtes und küssten sie. Dieser nun bückte sich zu ihnen hinunter, nahm sie bei den Händen, richtete sie auf. Martin mochte sich nicht nähern, es war ihm unangenehm, diese Szene beobachtet zu haben. Als sei etwas geschehen, was ihn nichts anging. Er wagte auch nicht, den Abt darauf anzusprechen. Es war aber Thaddäus, der am folgenden Tag die Sprache auf das Geschehen brachte. Von nah und von weither kämen Menschen mit unheilbaren Hautleiden, damit der Abt ihre Wunden wasche und sie gesund mache. Er gelte nicht nur bei der armen Bevölkerung, sondern sogar beim Adel als Wunderheiliger, obwohl der Abt jedem versichere, Gott habe die Heilpflanzen den Menschen geschenkt und darum seien Wunder nicht unbedingt nötig, um gesund zu werden.
Der Winter zog sich dahin. Martin platzte fast vor Ungeduld, er wollte zurück zum Heer Gottfrieds von Bouillon, er wollte zu Alice.
Er wollte endlich seinen Auftrag weisungsgemäß erledigt haben. Doch er war immer noch zu krank, zu schwach für einen Ritt nach Konstantinopel. Martin beschwor den Abt, er begründete seinen Wunsch recht schlau, Epiphanias sei zur Abreise sehr geeignet, weil an diesem Tag der Heiligen Drei Könige gedacht würde, deren Zug ins Heilige Land eine gleichnishafte Bedeutung hätte.
Der Abt besprach sich mit dem Bruder, der als Arzt Martin immer noch betreute, und mit Bruder Thaddäus. Doch die Weisung: ›Tue alles mit Rat, und du wirst nichts bereuen nach der Tat‹ erwies sich als schwer erfüllbar, weil die Entscheidung eine Unbekannte enthielt: Mit Sicherheit war Herzog Gottfried mit seinem Heer schon in Konstantinopel angekommen. Was aber wäre, wenn die Heere des Grafen Raimond von Toulouse, Bohemunds, Stephan de Blois’ und der beiden Roberts, des Herzogs von der Normandie und des Grafen von Flandern, auch schon Konstantinopel erreicht hätten?
Würden die Pilger feindliches Gebiet betreten, bevor Martin den weiten Weg zu ihnen geschafft hätte? Sollte man Martin trotz seiner Krankheit ziehen lassen?
Anfang Februar, am Tag vor seinem Aufbruch nach Konstantinopel, ließ der Abt nach der Terz und gesungenen Messe Martin durch einen jungen Bruder mitteilen, er solle zum Pferdestall kommen. Martin erfasste eine ungewohnte Aufregung, als er Rab nach diesen Monaten der Krankheit und Schwäche endlich wiedersah. Er liebkoste das Pferd, das ihm als sein bester Freund erschien. Dann erst bemerkte er in der Dunkelheit des Stalles den Abt. Er hielt ebenfalls ein Pferd am Zügel und führte es jetzt ins Freie.
»Wir werden
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