Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
die Unheimliches zu ihm sprachen – und gleichzeitig sehnte er sich nach Klarheit und Licht. Deswegen neigen Menschen, die von diesem Dämon besessen sind, dazu, Feuer zu legen. Zuerst malen sie Sonnen in den Sand, das ist ein sicheres Zeichen. Man muss auf sie aufpassen. Und das haben die Verwandten von Thomas auch gemacht und ihn nie allein gelassen. Doch in ihrer Not sind sie an jenem Unglückstag alle aufs Feld gestürzt und hatten Thomas wohl vergessen. Ich jedenfalls vermute, dass Thomas das Gitter von der Kochstelle genommen hat und ein Kätzchen aus Versehen mit dem Schwanz gegen das Feuer gekommen ist. Das kann ja passieren, denn die Bauernhäuser haben nicht wie wir einen Herd, sondern die Kochstelle befindet sich auf dem mit Spreu bedeckten Boden. Vielleicht hat Thomas sogar die Katze gepackt und den Schwanz ins Feuer gehalten, denn bei dieser Besessenheit neigt man bisweilen zur Grausamkeit. Es war‹, und das sagte ihr Vater mit fester, überzeugender Stimme, ›keine Zauberei, kein Teufel im Spiel.‹
Alice schwankte, konnte sich für keine der Deutungen entscheiden. Bei Marthas dunklen Worten wurde ihr immer ganz grauslich zumute. Wenn sie an die Worte ihres Vaters dachte, hell und licht, beruhigte sie sich. Doch eigentlich wusste sie nicht, welche Geschichte sie schrecklicher fand, die einer Katze, deren Schweif die Flammen nichts anhaben können und die der Teufel leibhaftig ist, oder die eines Kätzchens, das elendig verbrennt. Während sie nun neben Bernhard ritt, wurde ihr bewusst, dass der junge Herr auf die Erklärung ihres Vaters mit Unwillen reagieren würde, und gleichwohl neigte Alice jetzt dazu, diese für wahr zu halten. Mit einem Male war ihr Vater Alice sehr nahe. Sie sah ihn vor sich, sehr gütig, liebevoll, und es war ihr, als riefe er in großer Not nach ihr.
Alice schämte sich, dass sie ihren Vater ganz vergessen hatte. In das Schweigen hinein sagte sie zu dem Ritter:
»Wir müssen meinen Vater finden!«
Sie hatten Selymbria erreicht.
Die Fensterläden der aus Ziegel gebauten Häuser waren geschlossen, kein Hund, keine Katze, keine Ziege, kein Huhn, geschweige denn ein Mensch ließ sich blicken. Bedrückt ritt Alice an einem niedergebrannten Haus vorbei, dessen noch nicht verloschene Glut ein tanzendes rotes Licht auf die mit Steinen gepflasterte Straße warf.
Alice wagte nicht, den Ritter zu fragen, ob dies das Haus sei, in dem die Frau gewohnt hatte, deren Ohrringe sie nun in ihrer Tasche trug. Er äußerte sich ebenfalls nicht dazu.
An einem Platz stiegen sie ab.
»Pass auf«, wurde Alice von Bernhard ermahnt, der sie bei ihrem eng anliegenden Ärmel fasste. Alice bemerkte erst jetzt die Stufen, die zu einem Brunnen hinunterführten.
Ratlos standen sie auf dem Platz. Bernhard und Alice beratschlagten, dass sie erst einmal in Erfahrung bringen wollten, wo der Barbier oder Arzt, der möglicherweise den Zahn gezogen hatte, wohnte. »Wenn diese Byzantiner nur auch etwas anderes als dieses Griechisch sprächen«, bemerkte Bernhard.
Alice klopfte gegen eine Tür, rief, auch wenn sie nicht verstanden würde, während Bernhard etwas abseits stand und sein Schwert zum Zeichen guter Absichten auf dem Rücken trug. Im oberen Stockwerk öffnete sich eine Fensterlade und eine Frau mit einem Öllicht in der Hand schaute hinaus. Alice versuchte mit Gebärdensprache, sich verständlich zu machen. Sie zeigte auf ihren Mund und ahmte die Bewegung des Zahnreißens nach. Die Frau wies denn auch in eine Richtung und schlug darauf heftig den Fensterladen wieder zu. Es fand sich jedoch kein Haus, das irgendeinen Hinweis geboten hätte, dass hier ein Barbier oder Arzt chirurgische Eingriffe vornahm. Alice klopfte an mehrere Türen, doch niemand öffnete.
Es sank ihr der Mut. Wenn sie auch mit dem Ritter Baerheim an ihrer Seite für sich selbst keine Angst verspürte, so doch umso mehr für ihren Vater. Sie versuchte sich vorzustellen, was er getan hatte, gesetzt den Fall, ihm wäre der Zahn gezogen worden – oder auch nicht. Jedenfalls hatte er sich nicht an sein Wort gehalten oder halten können, sofort zu seiner Tochter zurückzukehren. Alice wurde von Bernhard aufgefordert, darüber nachzudenken, wohin ihr Vater sich verloren haben könnte. Er hatte möglicherweise ebenfalls geplündert, überlegte Alice für sich. Nur würde er niemals in ein Wohnhaus eindringen, die Menschen bedrohen, verletzen oder gar töten, um zu stehlen. Er war ein Kaufmann und er würde wohl eher ein
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