Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Warenlager suchen, um sich einiges daraus zu nehmen.
»Vielleicht beim Hafen«, meinte sie. Vielleicht in einem der Lagerhäuser? Wo könnte er überhaupt sein Pferd gelassen haben?, dachte Alice mit Schrecken, denn wie sollten sie ohne Pferd den Wagen weiterziehen.
Die Meeresluft schlug ihnen entgegen, sie hörten das Schlagen der Wellen. Dunkel, fast schwarz war das Wasser. Im Hafen war kein Schiff zu sehen. Vielleicht waren die Boote vor den plündernden Kreuzfahrern in Sicherheit gebracht worden.
Alice und Bernhard fanden eine Taverne. Möglicherweise hatte der Vater hier sein Pferd festgemacht, um Branntwein gegen den Schmerz zu trinken.
Nach anhaltendem Klopfen öffnete ein gedrungener Mann mit zusammengewachsenen schwarzen Augenbrauen. Bernhard fragte nach dem Pferd, Hippo, das Wort kannte er, denn sein Großvater Hanno hatte einst als junger Mann eine Pilgerreise nach Jerusalem gemacht und hatte dem kleinen Jungen wieder und wieder von dem Hippodrom in Konstantinopel erzählen müssen, von dem Palast des Kaisers, der Hagia Sophia und all dem Gold, den Edelsteinen, den kostbaren Bechern und Teppichen, dem Schmuck der Frauen, und Bernhard hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als die Reichtümer zu betrachten, sie zu berühren, zu besitzen.
Der Mann, den Alice und Bernhard für den Wirt hielten, schüttelte den Kopf.
»Hippo?«, fragte er in höchstem Erstaunen. Mit einer ausladenden Geste öffnete er das Tor und bat die Frau und den Herrn hineinzukommen, die Fackel allerdings draußen in der Halterung zu lassen. Eine Öllampe in der Hand, geleitete der Mann die Fremden durch den Schankraum, in dem lange Tische mit Bänken standen. Im Vorbeigehen konnte Alice Schälchen mit Oliven erkennen. Der Mann führte sie in den Stall. Ein Esel und mehrere Ziegen hatten sich gelagert, Hühner schliefen auf einer Stange.
»Pferd?« Der Mann lachte und zuckte die Schultern, es klang Alice, als würde er sie auslachen. Bernhard dankte höflich. Alice befürchtete, die Fackel und Bernhards Pferde könnten verschwunden sein, doch als sie heraustraten, standen die Tiere unverändert angebunden vor der Taverne.
»Der Mann lügt«, bemerkte der Ritter zu Alice. »Wie alle Byzantiner«, fügte er hinzu.
Die Pferde am Halfter, gingen sie langsam am Hafen entlang. Am Ende der Häuserreihe, dort wo die Straße aufhörte und ein schroffer Felsen in das Meer hinausragte, dort beim letzten Haus öffnete sich ein Tor und eine schöne, stattliche, nicht mehr ganz junge Frau in einem weißen, am Saum und am Hals reich bestickten Kleid trat heraus und winkte sie ins Innere.
Es war ein Tonnengewölbe, weiß gekalkt. Auf Ständern, damit sie nicht feucht wurden, lagerten Stoffe: Seide, Brokat, Atlas. Die Frau führte sie zur Hinterwand der Halle, aus der ein Wimmern zu hören war – und dort lag in einer Ecke der Vater. Man hatte ihn offenbar dorthin gezerrt. Er lag auf dem Rücken, mit der linken Hand hielt er seine rechte Schulter. Alice stürzte zu ihm und kniete bei ihm nieder.
»Ich kann nicht laufen«, stöhnte er. »Sie haben mich zusammengeschlagen und mir die Beine gebrochen.«
»Wer?«, rief Alice entsetzt.
»Soldaten des Kaisers. Von unserer Wachmannschaft.«
Der Ritter stieß einen Fluch aus.
Alice dachte, er ist beim Plündern entdeckt worden. Sie konnte sich trotz seiner Not nicht zurückhalten, ihrem Vater Vorwürfe zu machen. Ein strafender Blick Bernhards brachte sie zum Schweigen, eine Tochter dürfe ihrem Vater nicht zürnen, sondern müsse ihm unter allen Umständen, besonders aber wenn er hilfsbedürftig sei, still gehorchen und dienen.
Unter Stöhnen und einem Aufschrei des Schmerzes wurde der schwere, verletzte Mann von Bernhard aufgehoben, über die Schulter gepackt und hinausgetragen. Draußen, wieder am Hafen, band ihn Bernhard vornübergehängt an seinem Pferd fest, während Alice die Fackel hielt. Und so führten sie die Pferde und den zum Krüppel geschlagenen Mann durch die Stadt hinaus zum Lager. Alice hielt die Hand ihres Vaters, der fortwährend wimmerte. Sie weinte. Mit ihrem langen Oberkleid wischte sie sich bisweilen die Tränen ab.
Noch in derselben Nacht schickte Graf Otto von Baerheim den Mönchsarzt zu Alice’ und ihres Vaters Wagen.
Beim flackernden Licht einer Öllampe, die Alice angstvoll hielt, untersuchte der Mönch kniend ihren Vater. Als er sich endlich schwerfällig erhob, sein Rheuma setzte ihm wieder zu, wandte er sich an Karl und meinte:
»Nur ein Wunder kann dir noch
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