Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
grüne, mit Goldfäden durchwirkte Beinlinge, das sei doch für einen Mann, auch wenn er den Prunk lieben würde, blamabel, beschämend. Übrigens, er, Bernhard, habe gehört, dass es Hugo nicht schlecht erginge im Kaiserpalast. Er sei als Bruder des französischen Königs reichlich beschenkt worden vom Kaiser und genieße allen Luxus und alle Annehmlichkeiten der Welt, Alice könne sich schon denken, welche.
Alice wurde noch verlegener, was Bernhard deutlich spürte. Er genoss die gewollt peinliche Situation und fragte dann teilnehmend:
»Du bist so bedrückt heute, hast du etwas auf dem Herzen, was ich dir abnehmen kann?«
Alice fand die zurechtgelegten Worte nicht. Ratlos blickte sie auf den Saum ihres Kleides, der durch den grauen, steinigen Sand glitt. Entschlossen raffte sie dann ihren Rock und begann. Ausführlich schilderte sie die Qualen ihres Vaters, die Bernhard ohnehin genau kannte.
»Die Sache ist nur die«, druckste sie, »mein Vater hat mich gebeten, ihm den Schlafmohn zur Linderung seiner Schmerzen zu besorgen. Ich habe auch das Geld, den Juden zu bezahlen. Aber nun hat Herzog Gottfried strengstens verboten, Selymbria noch einmal zu betreten.«
Alice blieb die Stimme weg, sie schluckte.
»Hm«, kommentierte Bernhard das Gehörte. Bitten musste sie ihn schon, sonst hätte er keine Lust, das für sie zu erledigen.
Hitze stieg in ihr auf.
Los, Alice, ermahnte sie sich selbst. Nimm dich zusammen. Sag schon, was du von ihm willst.
»Also, verzeiht, Ritter Bernhard. Ich bin in großer Not und eine schwache Frau, Ihr aber seid ein Mann. Ihr seid stark, mutig und kampferfahren.Würdet Ihr, wenn ich Euch inständig darum bitte, den Schlafmohn für meinen Vater besorgen?«
Ist doch köstlich, wie sie sich anstrengt, amüsierte sich Bernhard. Sie glaubt doch allen Ernstes, sie könne mit Schmeicheln etwas bei mir erreichen.
Bernhard blieb stehen. In bedrohlichem Ton fragte er:
»Weißt du, was du von mir verlangst?«
Alice schreckte auf und nickte. »Ich weiß, es steht die Todesstrafe darauf, falls Ihr entdeckt werdet.«
»Und du möchtest, dass ich so etwas für dich tue. – Warum sollte ich?«
Nun kommt es, dachte Alice und eine entsetzliche Furcht legte sich auf ihre Brust. Nun geschieht es, er wird mich in den Sand werfen, die Röcke hochreißen, hart in mich eindringen und mich entjungfern. Das wäre ja noch schrecklicher als mit dem Kaufmann, kam es ihr in den Sinn.
Alice zitterte, am liebsten wäre sie im Erdboden versunken, und zwar für immer. Wie konnte der Vater ihr nur so etwas antun und so etwas von ihr verlangen. Warum hielt er den Schmerzen nicht stand, wie es sich für einen Christen gehörte.
Bernhard veränderte seinen Gesichtsausdruck. Seine Stimme wurde milder, einschmeichelnd, lockend.
»Alice, was gibst du mir, wenn ich für dich mein Leben wage?«
»Ich weiß nicht. Was verlangt Ihr?«
»Einen Kuss«, antwortete er.
Alice blieb regungslos stehen.
Jetzt würden seine Lippen die ihren berühren – und nicht nur wie zum Bruderkuss die geschlossenen, sondern heiß und begehrend und rücksichtslos.
Der Ritter Bernhard aber umfasste Alice’ Schultern, ohne ihren Körper wirklich zu berühren, und küsste die Überraschte einen kaum wahrnehmbaren Augenblick zärtlich und achtungsvoll auf die Stirn.
Darauf trat er einen Schritt zurück.
So blickten sie einander an.
Dann wandte Bernhard sich um und ging schnell den Weg zurück zu den Pferden. Alice hetzte ihm nach, bekam ihn am Ärmel zu fassen und rief: »Danke!«
Er machte sich los.
Mit einem Male bekam Alice Angst um ihn, es könne ihm ein Unglück widerfahren. Und sie sei schuld. Jedenfalls wollte sie ihm Geld geben, damit er den jüdischen Arzt bezahlen und möglicherweise einen Soldaten bestechen könne, falls er gefasst wurde.
»Ich gebe Euch auch das Geld!«, rief sie aus und fühlte den Beutel unter ihrem Rock. Zu spät, bereute sie, zu spät war sie bereit, ihr Versprechen zu brechen und ihrem Vater zu helfen.
Bernhard lehnte ab: »Juden bekommen anderen Lohn.«
»Aber Ihr tut ihm doch kein Leid an?«, wagte Alice einzuwenden.
»Es ist nicht zu übersehen«, erwiderte er, während sie nebeneinander weitergingen, »dass du trotz deines vornehmen Aussehens eine Krämerstochter bist und nicht dem Herrenstande angehörst. Wie dein Vater hast du Angst vor dem Schmerz, deinem eigenen und dem anderer.«
Er machte eine Pause. Alice hörte das Schlagen der Wellen und wartete.
»Leben und Schmerz gehören
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