Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Bernhard mit einem Pfiff aus seiner bewegungslosen Position befreite, lobte und selbst versorgte. Der Seiler und seine Frau hatten sich unterdessen Sorgen gemacht, was wohl mit Alice’ Wagen und dem Zugpferd geschehen sollte. Die Tatsache, dass der junge Herr eine Stute mitgebracht hatte, ließ sie hoffen, dass sie den Wagen für ihre Rückreise nach Passau behalten könnten. Sie hatten allerdings das Gefährt und das Pferd zu bezahlen, was ihnen sauer aufstieß, aber unabänderlich war, weil Bernhard es forderte. Alice tat das Geld in den Beutel, und zwar in den sichtbaren, während das Geld, das sie vom Abt erhalten hatte, immer noch unter ihren Röcken verborgen war. Die junge Frau suchte ihre wenigen Habseligkeiten zusammen, die auf die Pferde geschnallt wurden.
Von Hildegard verabschiedete sich Alice herzlich. Die Freundinnen fielen sich um den Hals und weinten. Bernhard stand daneben und drängte zum Aufbruch.
Hildegard jammerte: »Nun muss ich allein ins Kloster eintreten.«
»Und wenn du nicht willst?«
»Ich muss. Ich bringe meinen Eltern dieses Opfer«, entgegnete sie würdevoll.
Doch dann schluchzte Hildegard heftig:
»Ach, Alice! Was soll’s? Markus ist ja ein Mönch!«
Geschrei, Gewühl, Gestank, Dreck und Kot von mindestens 100.000 Pferden und Rindern und Schafen und Hühnern. Dazwischen Jagdhunde und Falken und Menschen, die schoben, schubsten, die drängelten, um auf eines der Schiffe zu kommen, das sie endlich von Konstantinopel weg ans andere Ufer des Arms des St. Georgs bringen sollte. Dabei hatte sich Kaiser Alexios nicht lumpen lassen, hatte alles an Galeeren und Fähren und Frachtschiffen aufgebracht, was nur irgend möglich war, um seine Brüder in Waffen so schnell wie möglich in Feindesland zu schaffen.
Dazwischen Alice mit ihrem neuen Pferd, das sie nicht kannte, das unruhig war und von dem sie nicht wusste, wie sie es beruhigen sollte. Denn natürlich war es nervös, scheute die Massen von Menschen, die Enge, den Lärm, es war schließlich kein Schlachtpferd, das alles geduldig über sich ergehen ließ. Und heiß war es. Alice schwitzte und hatte Durst. Ständig wurde ihr auch etwas zu trinken angeboten von Jungen mit schwarzen großen Augen oder zahnlosen alten Männern und athletischen Jünglingen oder dicken geschminkten Frauen oder von wem auch immer. Aber sie war so vorsichtig und dabei so wenig vorausschauend gewesen, ihr ganzes Geld in drei Beuteln unter ihrem Rock zu verstecken, nach denen sie auch von Zeit zu Zeit möglichst unauffällig fasste, ob sie noch da wären. Nun aber am Hafen zwischen all diesen Menschen und Dieben das Geld herauszuholen, grenzte an Wahnsinn. Sie blickte sich wiederum ungeduldig, ärgerlich und enttäuscht nach Bernhard um, der könnte ihr jedenfalls ein bisschen Geld leihen, aber von dem war keine Spur zu sehen. Alice hatte keine Ahnung, ob er schon den Arm des St. Georg überquert hatte und am jenseitigen Ufer zwischen Karren, Kindern und Fußsoldaten mühsam sich den steilen Berg hinaufzwängte oder aber noch wie sie selbst irgendwo in diesem Gewühle stand und ebenfalls wartete. Und auch von Martin war nichts zu sehen. Die Männer kümmerten sich überhaupt nicht um die Frauen. Dafür schrien die Mütter um so mehr, passten auf, dass ihre Kinder in der Menge nicht verloren gingen, und wenn ein Mädchen oder Junge sich auch nur ein bisschen entfernte, schon gab’s eine runter.
Alle waren gereizt bis auf die besonders Frommen, die ruhig standen und beteten.
Alice war gar nicht nach Ruhe zumute, höchstens nach einem stillen Gebet. Es war schon hart, den Vater in einem Grab vor Konstantinopel zurückzulassen. Aber darüber nachzudenken, fand sich wenig Gelegenheit, denn das Pferd war ganz zappelig und schlug aus.
»Ruhig«, sagte Alice. Dann aber sah sie, die Stute hatte allen Grund auszuschlagen, denn da hatte sich jemand an ihrem Eigentum zu schaffen gemacht. Ein Dieb! Ihr Kopfkissen fehlte. Jemand hatte ihr Kopfkissen gestohlen! Alice stampfte mit dem Fuß auf vor Wut und Unglück.
Das war nun die ungeheure Hilfe, die Bernhard ihr versprochen hatte.
›Wenn du immer meine Ohrringe trägst, dann bringe ich dich heil nach Jerusalem. Ich schwöre es vor Gott‹, hatte er ihr letzte Nacht zugeflüstert, während er einmal innehielt, an ihren Brüsten zu saugen, wovon die Liebesmale immer noch wehtaten. Von wegen!
Na endlich, es ging ein kleines Stück weiter. Alice wurde von vorn und hinten angerempelt. Nicht mal verstehen konnte sie
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