Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
nieder.
Martin sprang auf ihn, wollte nach der Kehle des Mannes fassen.
Das Messer, gebrauche dein Messer, sei schnell, stich zu!
Martin zückte sein Messer, der andere umklammerte seinen Arm und versuchte, das Messer von seiner Kehle wegzudrücken. Martin biss ihn in die Hand und stieß zu.
Das Blut schoss ihm entgegen. Einen Augenblick blieb er noch auf dem Feind sitzen, um sicherzugehen, dass sein Gegner auch wirklich tot war. Dann erhob Martin sich, er nahm die Waffen des Mannes an sich.
Rab und die Stute standen nun still, waren zärtlich miteinander. Ein paar freundliche Worte sprach Martin mit den Pferden, während er die Stute an einem Baum festband, damit das reiterlose Tier ihn nicht verriet. Mitführen konnte er sie nicht. Sie hinderte ihn am schnellen Reiten und auf Schnelligkeit kam es jetzt an. Aufgesessen und fort von hier zu Graf Raimonds Heer.
Martin nahm sich vor, auf dem Rückweg die Stute loszubinden.
Passau, der Abend nach Christi Himmelfahrt, 15. Mai 1096
Der Abt trat am späten Abend aus dem bischöflichen Palast hinaus auf den weiten, vom Mond hell beschienenen Residenzplatz. Die Diener verflüchtigten sich. Das große Tor hinter ihm wurde geschlossen.
Nachdenklich ging er über die Holzbohlen zu dem lang gestreckten Pferdestall, aus dem aus engen Luken Licht drang. Der Reitknecht des Bischofs erwartete ihn bereits und führte sein Pferd hinaus. Langsam ritt er an den prächtigen Fachwerkhäusern der Domkanoniker vorbei. Still war es hier, nur die Hufe seines Pferdes hallten, als er die Steinstraße Richtung Paulusbogen hinunterritt.
Endlich allein, atmete er tief durch, obwohl sein Geruchssinn vom Gestank der verfaulenden Abfälle, vom Kot der Tiere, von den Fäkalien empfindlich gestört wurde.
Zu seiner Erleichterung war er in großen Ehren von Bischof Thiemo verabschiedet worden, Bruderkuss, Umarmungen, das ganze Zeremoniell fürstlicher Würdigung war aufgefahren worden, um ihn dem hohen Hirten gewogen zu machen. Offenbar war nichts von den fragenden, forschenden Blicken auf den Wegen im Kloster, der stummen Rede bei der Messe, dem Getuschel im Kreuzgang und trotz des Redeverbots dem Flüstern im Dormitorium nach Passau hinausgedrungen, offenbar bewahrten die Brüder Schweigen über ihre Vermutungen, Verdächtigungen, Verleumdungen, deren Wispern von den Klostermauern auf ihn eindrangen, ihn durchstachen, seitdem er Martin gepflegt hatte, seitdem er allein mit ihm ausgeritten war.
Hier jedoch in Passau war ihm größte Achtung entgegengebracht worden. Auch jetzt.
Wo ihm zu dieser späten Stunde noch ein Nachtschwärmer in der engen Gasse begegnete, verbeugte der sich tief, und zwar nicht, wie der Abt erneut feststellen konnte, vor seinem hohen Amt, sondern aus Dankbarkeit, aus Verehrung, aus Ehrfurcht. War ihm diese beinahe kindliche, vertrauensvolle Zuwendung sonst zur Selbstverständlichkeit geworden, so nahm er sie nun als Geschenk an.
Der Abt erreichte den Paulusbogen, dessen Tor selbstredend schon längst geschlossen war. Er rief nach dem Wächter, der wohl schon schlief, bisweilen auch zu viel getrunken hatte. Während er wartete, huschte aus der Dunkelheit ein Mann hervor, warf sich vor ihm auf die Knie und stieß einen grausigen stimmlosen Laut tief aus dem Kehlkopf hervor.
»Michel«, erkannte ihn der Abt und stieg von seinem Pferd.
Der Bleicher ergriff den Saum seines Gewandes und küsste es.
Der Abt richtete den Mann auf, legte seine Hand auf die beiden, kürzlich vom Henker abgeschnittenen, noch wunden Fingerstümpfe und dann in die Mundhöhle, aus der die Zunge herausgeschnitten worden war. Neugierig stellte sich der Torwächter hinzu. Unter dem scheelen, misstrauischen, missbilligenden Blick des Ordnungshüters segnete der Abt den Verstümmelten.
Hoheitsvoll wandte er sich an den gedrungenen, kräftigen Beobachter und wies ihn zurecht:
»Dieser Mann hat seinen Meineid hart gebüßt. Jesus aber lehrt uns, nicht zu verletzen, sondern zu heilen.«
Der Torwächter machte verschreckt eine demutsvolle Handbewegung, verbeugte sich und öffnete das große, schwere Tor.
Noch musste der Abt die armseligen, mit Moos bedeckten Hütten der Vorstadt hinter sich bringen, dann war er endlich im Freien. Er ließ sein Pferd weit ausholen, während er dicht am Ufer der Donau entlangritt. Breit war der Fluss, träge, Mond und Sterne ließen ihn glitzern, sanft stiegen die Hügel hinan. Dem Abt fiel auf, wohl zum ersten Mal, seitdem er als junger Mann ins Kloster eingetreten
Weitere Kostenlose Bücher