Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
war, wie sehr er an dieser Landschaft hing.
Für einen Augenblick kehrten seine Gedanken zu der schwierigen Verhandlung mit dem Bischof zurück. Die Äbtissin des Klosters Niedernburg hatte ihn gebeten, die Interessen der Nonnen gegenüber dem Bischof zu vertreten, der die Orte Aufhausen, Anthofen und Irching für sich beanspruchte. Mit dem Ergebnis der Abmachung konnte die Äbtissin mehr als zufrieden sein, bereits am frühen Morgen wollte er ihrem Kloster seinen Besuch abstatten.
Doch nicht lange befasste der Abt sich mit dem geschlossenen Vertrag. Stattdessen kreisten seine Gedanken, seine Vorstellungen um Bilder, die ihn in der letzten Zeit fast unmerklich und zunächst wider Willen in Anspruch nahmen:
War Martins Ritt nach Konstantinopel glücklich verlaufen? Wo war er jetzt wohl? Hatte Martin das Heer Herzog Gottfrieds noch rechtzeitig erreicht? Oder war er allein von Konstantinopel in feindliches Gebiet aufgebrochen? Dann, so war dem Abt schmerzlich bewusst, wäre er wohl kaum noch am Leben. Jedoch eine innere Stimme versicherte ihm, dass Martin nicht tot war. Noch nicht.
Allerdings musste die Belagerung von Nikäa begonnen haben, und Belagerung hieß, dass Menschen über Menschen geopfert wurden. Belagerung bedeutete zumeist qualvollen Tod. Oder aber es käme zur Schlacht. Es hieß, dass Sultan Kilidj Arslan oftmals nicht in Nikäa weilte, sondern Krieg gegen andere türkische Fürsten führte. Dann aber würde der Sultan seine Streitigkeiten beenden, schnellstmöglich nach Nikäa zurückkehren und das christliche Heer von außen angreifen, während möglicherweise die Garnison einen Ausfall machte. Würde Martin diese erste Schlacht überleben?
Ihn fröstelte bei diesem Gedanken und er trieb sein Pferd noch mehr zur Eile an, obwohl allmählich das Mondlicht vom Schatten der Bäume und dann dem des Waldes verschluckt wurde.
Doch je mehr der Abt sich seinem Kloster näherte, desto fester saugte sich der Preis in ihm fest, der für seine erfolgreiche Verhandlung zu zahlen war.
Zwar nicht seinen Schädel hatte der Bischof als Reliquie für den Dom von Passau von ihm gefordert, wohl aber seine Handknochen und seine Gebeine.
Kämpfe in Romanien, 16. Mai – Oktober 1097
Zur ersten Stunde des Tages war Graf Raimond, lang ersehnt und ungeduldig erwartet, endlich im Lager vor Nikäa eingetroffen. Er wurde von den Heerführern ehrenvoll, aber kurz begrüßt.
Gewollt würdevoll, aber müde und erschöpft ritt Raimond Saint Gilles, Graf von Toulouse und Marquis der Provence, mit über 50 Jahren der Älteste der principes, an der Außenseite der Heere Bohemunds, Herzog Gottfrieds und des Grafen Roberts von Flandern, an Tausenden bunter Zelte vorbei. Die Banner, die den Eindruck erweckten, als reichten sie bis zum Horizont, erzeugten Mut. Zu seiner Beruhigung bemerkte er, alle Ritter hatten ihre Rüstungen angelegt, die Bogenschützen waren dabei, die Flanken zu besetzen. Nun aber hielten sie inne und blickten neugierig zu den ankommenden Pilgern. Natürlich neben Rittern, den milites plebei und Fußsoldaten – Nichtkämpfende, Graf Raimonds Gemahlin Elvira von Léon-Kastilien, Gräfin von Toulouse, die Ehefrauen seiner Ritter, Priester und Mönche, Tausende von weiblichen und männlichen Bediensteten, Wäscherinnen, Händelrinnen, Kindern, Alten, Kranken, Prostituierten.
Graf Raimond war mehr als besorgt, wenn er auch eine hochfahrende, stolze Miene zeigte, als er endlich die für ihn frei gehaltene Südseite der Festungsmauer Nikäas erreichte. Voller Argwohn blickte er die Hügel hinauf zu den bewaldeten Höhen, wo mit Sicherheit irgendwo Kilidj Arslan ihn beobachtete und die Kampffähigkeit des christlichen Heeres abschätzte.
Wenn der gefangene Türke die Wahrheit gesprochen hatte, woran ernstlich niemand zweifelte, dann bliebe überhaupt keine Zeit. Dann müsste Kilidj Arslan jeden Augenblick angreifen. Noch während die Frauen und Männer in aller Hast und Angst das Lager aufbauten und die Bogenschützen und Lanzenträger es abzusichern versuchten, schrien es die Kinder und zeigten auf den Kamm der Anhöhe:
»Sie sind da!«
Wie eine Fata Morgana und doch wirklich griff um die dritte Tagesstunde Kilidj Arslan an.
Des Sultans Krieger sahen furchterregend und mächtig aus, wie sie von der Höhe der Berge herab, in Schlachtreihen geordnet und zahlreich wie der Wüstensand, auf ihre Feinde zugaloppierten, glänzend bewaffnet mit Panzer, Helm und Schild, die funkelten wie Gold, und mit ungezählten
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