Die Pilgerin
geheiratet hätte, und auch von dem eigenen Bruder? Damian tat direkt so, als wären sie Fremde für ihn oder Waren, denen er keinen zählbaren Wert mehr zumaß.
Auch jetzt wandte Damian sein Augenmerk mehr einigen Abrechnungen zu als dem Gespräch mit seinem Vater, aber auf Laux’ Räuspern hin bequemte er sich doch, ihn noch einmal anzublicken. »Vielleicht solltest du versuchen, dich mit dem Bayernherzog zu einigen, und wenn nicht mit ihm, so mit Herrn Leopold von Habsburg. Wie es aussieht, benötigst du eine mächtige Hand, die dich zu schützen weiß.«
»Soll ich etwa die Reichsfreiheit unserer Heimatstadt aufgeben, die Kaiser Heinrich IV. uns in seiner Gnade gewährt und Karl IV. bestätigt hat, nur um die bayerischen oder österreichischen Farben über unserem Rathaus wehen zu sehen? Kannst du denn nicht über deine Geldtruhe hinausblicken?« Laux konnte es nicht fassen, solche Worte aus dem Mund seines Sohnes zu vernehmen.
Damian aber hielt nichts von unnützem Patriotismus, sondern erklärte seinem Vater, welchen Gewinn ihr Handelshausin den letzten Jahren aus dem Handel mit Bayern und den Habsburger Landen gezogen hatte und wie wenig ihnen die Geschäfte mit den böhmischen und Luxemburger Stammlanden des Kaisers eintrugen. Für ihn war Politik eine Frage des Geschäfts und nicht der Ehre. Die Reichsfreiheit Tremmlingens, auf die sein Vater so stolz war, galt ihm weitaus weniger als die Silbertaler, die er sich von seinen künftigen Handelsfahrten erhoffte.
Laux erkannte, dass es sinnlos war, mit Damians Hilfe zu rechnen, und kämpfte mit den Tränen. Sein jüngerer Sohn hätte ihn in dieser Situation gewiss nicht im Stich gelassen. Nun schämte er sich, Sebastians Hinweise auf eine große Verschwörung als Geschwätz abgetan und ihn dafür sogar verspottet zu haben. Der Junge hatte die Situation mit weitaus klareren Augen gesehen als er, und nun wünschte der Bürgermeister sich, die Zeit zurückdrehen zu können, um den Kampf gegen den Heuchler Schrimpp und dessen Freunde ganz anders zu führen. Doch weder Gebete noch Flüche konnten etwas an der Situation ändern. Ihm würde nichts anderes übrig bleiben, als seine Kräfte zu sammeln, um sich morgen erneut seinen Feinden im Rat zu stellen. Noch hoffte er, die Oberhand behalten zu können, denn er verfügte über Machtmittel, die denen der anderen überlegen waren.
Trotz seiner mühsam errungenen Zuversicht sehnte er sich nach Sebastian, der Verständnis für seine Probleme gezeigt hätte, und er fragte sich bedrückt, an welchem von Gott verlassenen oder vielleicht auch gesegneten Ort der Junge sich aufhalten mochte. Lebte er überhaupt noch? Und hatte er Tilla inzwischen gefunden? Laux konnte sich nicht vorstellen, dass die junge Frau in der Donau ertrunken sein sollte, wie Otfried Willinger es den Leuten in der Stadt weiszumachen versuchte. Gewiss hatte siedie Wallfahrt nach Santiago angetreten, aber nur Gott und der Apostel konnten wissen, ob sie das Grab des Heiligen auch erreichen würde. Da es niemand gab, der ihm auf seine Fragen antworten konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als für Tilla und Sebastian zu beten.
FÜNFTER TEIL
Die Furien des Krieges
I.
Die nächsten Tage glichen mehr einer Flucht als einer Wallfahrt, denn Vater Thomas trieb seine Schäfchen an, um Hugues de Saltilieus Besitzungen und Burgen hinter sich zu lassen. Er mied sogar einige bekannte Kirchen und heilige Orte, die er seinen Erzählungen zufolge auf allen seinen früheren Pilgerreisen aufgesucht hatte. Auch zog er nicht, wie er es geplant hatte, die Rhône abwärts, um dem Pilgerweg zu folgen, den man Via Tolosana nannte und der über Saint-Gilles, das zwischen Arles und Montpellier lag, Saint-Guilhem-le-Désert und Toulouse führte, sondern wählte die weitaus anstrengendere Via Podiensis über Le Puy, Conques und Moissac, die er bisher noch nicht benutzt hatte. An deren Ende wollte er dem Tal des Lot folgen, um über die Gascogne Spanien zu erreichen.
Auch für Tilla ergaben sich Änderungen. Da Felicia de Lacaune ihre Kleidung mitgenommen hatte, besaß sie nur noch deren Gewand. Daher musste sie sich, um nicht aufzufallen, in die Pelerine hüllen, die Ambros ihr lieh. In der Hitze aber hatte sie das Gefühl, unter dem dicken Stoff zu ersticken. Da auch Sebastian und Starrheim nur jene Sachen trugen, die sie auf der Flucht gestohlen hatten, kauften ihre Gefährten unterwegs von Krämern, die mit gebrauchten Kleidungsstücken hausieren gingen, passende
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