Die Pilgerin
schlug ihm mit der Faust das Messer aus der Hand und stieß ihn zu Boden. Bevor der Dieb wieder aufspringen konnte, hatten sich mehrere Männer, die in der Nähe standen, auf ihn gestürzt und hielten ihn fest.
Ein höherrangiger Mönch teilte die Menge, die sich sofort um das Geschehen gebildet hatte, und ihm folgte ein Untergebener des Stadtvogts, der ebenfalls die Messe besucht hatte. »Was soll der Aufruhr?«, fragte dieser.
Sebastian wies auf seinen Geldbeutel. »Der Schurke wollte mich bestehlen. Hier, dieser Riemen ist durchgeschnitten. Hätte meine Frau es nicht durch Zufall mitbekommen, ständen wir jetzt ohne alles Geld da.«
»Ich war es nicht«, kreischte der Dieb. Einer der Männer, die ihn festhielten, hob mit der freien Hand das auf den Boden gefallene Messer auf und reichte es dem Beamten. Dieser prüfte mit der Daumenkuppe die Klinge und starrte verblüfft auf den austretenden Blutstropfen. »Das Messer ist scharf wie Gift.«
Der Dieb wand sich wie ein Wurm. »Mir gehört es nicht!«
»Das werden wir gleich sehen!« Der Beamte beugte sich über ihn, fasste nach der leeren Scheide, die halb unter dem Hemd des Mannes verborgen lag, und schob die Klinge hinein.
»Na, wer sagt es denn? Passt wie angegossen.«
»Der Kerl hat das Messer unter dem Hemd getragen, damit keiner sehen soll, wenn er es aus der Scheide zieht. Er ist der Dieb!« Der Mönch hatte damit das Urteil über den Mann gefällt.
Tilla musterte den Beutelschneider durchdringend und stieß dann Hedwig an. »Ist das nicht der Kerl, der Ambros damals bestehlen wollte?«
Ihre Begleiterin sah sich den Dieb genauer an und nickte unwillkürlich.»Du hast Recht! Das ist der Schuft. Herr Vogt, den Mann kenne ich. Der hat bei unserem Aufbruch nach Santiago einen meiner Mitpilger bestehlen wollen. Das ist zwar jetzt über sechzehn Monate her, aber dieses Schurkengesicht ist mir in Erinnerung geblieben!«
»Dann wäre es eine gute Tat, dem Kerl ein paar Schlitze in die Ohren zu schneiden, damit jeder weiß, mit wem er es zu tun hat, und passt auf sein Eigentum auf. Oder noch besser, wir machen ihn gleich einen Kopf kürzer, dass er kein Unheil mehr anrichten kann. Kommt, Leute, bringen wir ihn zum Turm und sperren ihn ein.« Der Beamte fühlte sich ein wenig geschmeichelt, weil Hedwig ihn als Vogt bezeichnet hatte, und wollte sich dieser Anrede als würdig erweisen.
Einige der Leute, die den Dieb festhielten, hatten zwar vor, noch an diesem Tag zu ihrer Wallfahrt aufzubrechen, doch sie fanden, dass die Einkerkerung eines Beutelschneiders, der so manchen Pilger auf dem Weg zu seinem Ziel zum Betteln gezwungen hatte, eine fromme Tat sei, die ihnen die Heiligen gewiss lohnen würden. Daher schleppten sie ihn unbarmherzig mit sich.
Der Dieb jammerte und schrie zum Steinerweichen, doch niemand schenkte seinen Beteuerungen Glauben. Als sein Gewimmer verklungen war, klopfte Sebastian auf seine Börse und wandte sich grinsend an seine Freunde. »Das ist ja noch einmal gut gegangen! Was haltet ihr davon, wenn ich euch zu einem guten Mahl und einem Schluck Wein einlade?«
Er wandte sich zum Gehen und stieß dabei mit einem Mann zusammen, der ihn unverwandt anstarrte. In dem Glauben, einen weiteren Dieb vor sich zu sehen, griff Sebastian nach ihm und wollte ihm eine Ohrfeige verabreichen.
Der andere wirkte so verwirrt, dass er Sebastians Geste nicht einmal bemerkte. »Sebastian Laux? Bist du es wirklich?«
»Du kennst mich?« Sebastian zog die Stirn kraus, doch es dauerte einige Augenblicke, bis er in dem ärmlich gekleideten Mann den Schreinermeister Kaifel aus Tremmlingen erkannte, zumal dieser in der Zwischenzeit etliches an Gewicht verloren hatte.
Inzwischen hatte Kaifel auch Tilla bemerkt und riss erschrocken die Arme hoch. »Tilla? Das ist doch nicht möglich! Du sollst doch tot sein!«
»Wer behauptet das? Wohl mein Bruder!« Tillas Mundwinkel bogen sich nach unten.
Kaifel schüttelte zunächst den Kopf, nickte dann aber. »Der auch! Aber es waren Anton Schrimpp und Rigobert Böhdinger, die diese Nachricht bei ihrer Rückkehr verbreitet haben. Du sollst im Süden Frankreichs von marodierenden Söldnern umgebracht worden sein, nachdem diese dir Schlimmes angetan haben.«
»Das hätte Otfried wohl gerne gesehen. Doch die Nachricht war falsch. Wie du siehst, stehe ich unversehrt vor dir und mir ist auch nichts in der Art zugestoßen.« Tilla fühlte Zorn in sich aufsteigen, obwohl sie selbst wusste, dass es lächerlich war. Der jüngere
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