Die Plantage: Roman (German Edition)
lesen können, was Sie geschrieben haben.« Er erhob sich und hielt ihr das ganze Bündel hin. »Hier, das sind alle.« Doch als sie die Hand danach ausstreckte, zog er die Blätter zurück. »Bitte, Mrs. Lorimer, ich würde diese Zeilen gerne behalten.«
»Wozu? Es sind nutzlose Schreibübungen.«
»Nicht für mich! Es ist Ihre Handschrift …«
»Auf gar keinen Fall!« Sie sprang auf. »Geben Sie mir die Blätter sofort zurück!«
Er wollte sie ihr reichen, als sie unbeherrscht danach griff und ihre Hände sich berührten. Sie fuhr zurück, die Blätter flatterten zu Boden. Er sammelte sie wieder auf und gab sie ihr.
»Verzeihen Sie!«, sagte sie errötend. Während sie die Blätter in ihre Handtasche steckte, fragte sie sich, warum jede ihrer Begegnungen im Streit enden musste. »Ich glaube, ich bin etwas müde«, sagte sie zu ihrer Entschuldigung. »Die Luft hier drinnen …«
»Kommen Sie!« Genau wie beim letzten Mal nahm er sie entschlossen beim Arm. Auf dem Weg zum Ausgang wies er Berling an, ihre Einkäufe zu verpacken; die Sachen würden abgeholt.
In der frischen Abendluft gingen sie nebeneinander die Straße hinunter. »Lassen Sie uns im Voltaire eine Tasse Tee trinken«, sagte Reed und führte sie durch den Droschkenverkehr der George Street zu einem beliebten Studentenlokal. Er war sichtlich bemüht, sie ihre Befangenheit vergessen zu machen, indem er sie mit allen möglichen Anekdoten unterhielt. Als sie ihren Tee getrunken hatte, betrachtete er sie eine Weile mit unbestimmtem Ausdruck.
»Ich fürchte, Madam, Sie haben immer noch eine ungünstige Meinung von mir.«
»Nun, Mr. Reed, das liegt daran, dass Sie persönliche Dingesehr direkt ansprechen. Was Sie neulich über Henry gesagt haben, hat mich verletzt.«
»Das war nicht meine Absicht. Aber ich möchte nicht über Ihren Mann sprechen.« Ehe sie erkannte, worauf er hinauswollte, fragte er: »Können Sie sich vorstellen, dass Sie auch meine Gefühle verletzt haben?«
»Gefühle, Mr. Reed?«
Am liebsten hätte sie das Wort zurückgenommen, denn nun sah er sie mit demselben fatalen Ausdruck aus Verlangen und Verachtung an, mit dem er sie am Plains River angestarrt hatte. Doch kaum war es ihr bewusst geworden, da war der Moment auch schon vorbei.
»Bitte vergeben Sie mir meine früheren Indiskretionen«, meinte er demutsvoll. »Nichts liegt mir ferner, als Sie zu kränken.«
Sie verließen das Café, Reed rief für Antonia eine Droschke.
»Erlauben Sie mir, Sie wiederzusehen?« Als er ihr Zögern bemerkte, sagte er lächelnd: »Ich würde mir nie verzeihen, es versäumt zu haben, der einzigen gebildeten Frau South Carolinas den Hof zu machen.«
»Versuchen Sie, mir zu schmeicheln?«
»Das würde ich nicht wagen!«
»Was wollen Sie dann?«
Wieder lächelte er. »Sagen wir, ich möchte zur rechten Zeit am rechten Ort sein.«
VII. London
28.
William stieg die Stufen zum säulenflankierten Portal des Stadtpalais am Grosvenor Square hinauf und ließ den Türklopfer in Form eines Delphins mit einem metallischen Schlag zurückfallen. Ein Lakai in gepuderter Perücke öffnete ihm. Seine resedagrüne Livree war nagelneu, zwei Reihen frisch versilberter Wappenknöpfe glänzten an den Revers. Ein weiterer grün livrierter Lakai führte William in die Halle und nahm Hut und Handschuhe entgegen. Der Kämmerer erwartete ihn bereits. Er bat um Williams Karte und geleitete ihn, von den beiden Lakaien gefolgt, über den rechten von zwei bombastischen Treppenaufgängen hinauf zu den Empfangsräumen im ersten Stock. Während der Kämmerer seine Ankunft meldete, wartete William im Vorzimmer. Der Raum enthielt eine umfangreiche Sammlung von Militaria. Waffen aller Epochen lagen auf blauem Samt und genau dokumentiert in Tischvitrinen. William betrachtete eine Serie indischer Dolche, als der Kämmerer zurückkam.
»Seine Lordschaft erwartet Sie, Mr. Marshall.«
William hatte das Palais zu offiziellen Anlässen, militärischen Ehrenempfängen und zum Neujahrsbankett besucht, dennoch beeindruckte ihn der Festsaal immer wieder aufs Neue: Ein weiter, luftiger Raum, aufstrebende Wandpfeiler und monumentale Deckenfresken mit Darstellungen eines verklärten klassischen Altertums. Die Ausstattung war eine Huldigung an den Kunstsinn dieser kunstbesessenen Zeit: Auf der »englischen«Seite des Saales Werke von Reynolds, Gainsborough, West und früher Mitglieder der Royal Academy, gegenüber auf der »europäischen« Seite Gemälde flämischer Meister, Claude
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