Die Plantage: Roman (German Edition)
ihm wieder ein Kommando zu übertragen. Hätte sich Cornwallis aus diesen Gründen zurückhaltend gezeigt, hätte William das durchaus verstanden. Aber keinesfalls hatte er damit gerechnet, dass Seine Lordschaft ihn wegen Vorbehalten, die nicht einmal seine eigenen waren, fallen ließ und kalt lächelnd seinen persönlichen Nützlichkeitserwägungen opferte. Das war schwer zu verkraften, nachdem William ihm bis zuletzt seine Loyalität bewiesen hatte.
Loyalität! Er lachte bitter. Loyalität hatte ihm mehr geschadet als genutzt, wann würde er das endlich begreifen?
Dass er sich seine Unbelehrbarkeit vorwerfen musste, trug nicht dazu bei, seine Laune zu verbessern. Zu allem Überfluss kam Mrs. Crawford, die Hausdame des Hotels, auch noch mit der Nachricht, Néné sei verschwunden. William hatte so etwaskommen sehen. Nach der ersten Aufregung ihrer Ankunft in London war Néné von Tag zu Tag unzugänglicher geworden. Zwar erweckte sein phlegmatisches Gebaren den Anschein, er würde sich mit seinen neuen Lebensumständen abfinden. Doch bei jeder Gelegenheit fragte er, wann sie denn wieder nach Amerika führen. Der Junge tat William leid, aber eigenmächtige Ausflüge wie heute würde er nicht dulden.
Weil er so lange schwieg, glaubte Mrs. Crawford, er sinne darauf, wie er seinen Diener bestrafen solle, und versuchte auf ihre rechtschaffene Art, zu vermitteln. »Sie dürfen nicht zu streng mit ihm sein, Mr. Marshall. Bestimmt wollte er nur spazieren gehen und hat sich dabei verlaufen. Warum müssen Sie ihn auch immer im Zimmer einsperren?«
»Seien Sie versichert, dass ich ihn nie eingesperrt habe – was sich jetzt offensichtlich als Fehler erweist. Wie auch immer, nachdem er mir ständig mit der Heimreise in den Ohren liegt, wird er sich wahrscheinlich bei den Schiffen am Westindien-Pier herumtreiben.«
»Dann sollten wir Nick gleich dorthin schicken, um nach ihm zu suchen!«
»Na gut, soll Ihr Sohn von mir aus zum Hafen fahren.«
Wäre es nach William gegangen, er hätte Néné aus erzieherischen Gründen eine Weile sich selbst überlassen; sollte der Bengel doch sehen, wie schnell der Spaß vorbei wäre, ohne Geld in den Taschen und mit der falschen Hautfarbe in diesem Teil der Welt! Nun konnten sich die Crawfords um ihn kümmern. William würde jedenfalls den sonnigen Nachmittag nutzen und ein paar Stunden ausreiten.
Jenseits von Westminster, zwischen ausgedehnten Weiden und grünen Wiesen, lag die Grange, ein ehemaliges königliches Hofgut, das ein Gestüt und einen gut bestückten Mietstall beherbergte. Der Prince of Wales stellte hier seine Rennpferde unter, der Herzog von Essex hatte sogar seinen eigenen Übungsparcoursanlegen lassen. William betrat den gepflegten Reithof. Frisch gekalkte Stallgebäude strahlten in der Sonne, Sattelplätze und Wege waren sauber gefegt. Es herrschte die disziplinierte Betriebsamkeit eines gut organisierten Unternehmens.
Der Stallmeister fragte ihn nach seinen Anforderungen und ließ einen kräftigen Wallach vorführen, ein elegantes großrahmiges Pferd, das sich für die Row ebenso wie zur Fuchsjagd eignete. Dann brachte der Reitknecht einen Vollblüter, einen rauchweißen Grauschimmel mit schwarzen Augen und dunklen Nüstern, Mähne und Schweif streiften fast den Boden, als er sich, am langen Zügel geführt, harmonisch und sicher in den Gangarten präsentierte. William nickte anerkennend.
»Wie ich sehe, findet Harun Enzahi Ihren Beifall«, sagte der Stallmeister.
»Enzahi?« Verblüfft zeigte William ihm den silbernen Pferdekopf seines Gehstocks mit der Gravur. »Ein Hadban Enzahi stand hierfür Modell!«
»Das war sein Urgroßvater«, erzählte der Stallmeister. »Eine interessante Pferdedynastie, im deutschen Marbach züchtet man die Linie seit dem sechzehnten Jahrhundert, sie geht angeblich auf das Lieblingspferd Saladins zurück. Sie können ihn gern zur Probe reiten, Mr. Marshall.«
William verglich den Pferdekopf-Knauf seines Stocks mit dem lebenden Vorbild und nickte: »Na dann, Hadban Enzahi, ich sollte dir hier wohl begegnen.«
Harun wurde gesattelt und ihm für zwei Stunden zur Verfügung gestellt. Der Parcours führte durch eine der schönsten Gegenden Englands. Für eine Weile überließ William sich dem Zauber der Landschaft von grünen Hügeln und Wäldern unter einem hohen Himmel. Als er das Pferd wieder dem Burschen übergab, bat er darum, dass man ihm eine Abschrift der Zuchtpapiere sendete. Auch wenn der Kaufpreis seine kühnsten Vorstellungen
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